Zu Beginn des Masterstudiums stellte sich mir die große Frage: Was mache ich, wenn mündliche Prüfungs- oder Studienleistungen von mir verlangt werden? Dass es prinzipiell die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs gibt, hatte ich zum Glück mittlerweile erfahren. Aber darf ich den in Anspruch nehmen oder vermeide ich dadurch nur, mich mit meinen Ängsten auseinanderzusetzen?

Informationen über die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs sind nicht an allen Unis ausreichend verbreitet.

Ich habe in meinem Bachelorstudium erst durch Zufall erfahren, dass es (auch bei psychischen Erkrankungen) die Möglichkeit gibt, einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Das habe ich für meinen Bachelorvortrag dann auch gemacht und war sehr enttäuscht von dem Unverständnis und dem Stigma, dem ich begegnet bin. Schon vor Semesterbeginn an meiner neuen Uni habe ich auf deren Website recherchiert, wie die Regelungen dazu sind. Schnell habe ich entdeckt, dass es eine Koordinierungsstelle Diversity gibt, an die man sich bei Fragen wenden kann. Ich packte all meinen Mut zusammen, schrieb der Diversity-Beauftragten eine Mail und ging am nächsten Tag zu ihr in die Sprechstunde.

Es ist wichtig eine*n Ansprechpartner*in zu haben.

Die Sprechstunde war für mich sehr hilfreich. Sie erklärte mir das allgemeine Vorgehen, erzählte mir von Erfahrungen und teilte mir mit, dass sie sowohl bei den formellen Beantragungsschreiben helfen als auch bei Gesprächen mit Professor*innen und Dozent*innen dabei sein kann. Mir hat das Gespräch vor allem ein Gefühl von Sicherheit vermittelt – nicht alleine dazustehen, mit den Ängsten und gegen die Lehrenden.

Chancengleichheit sollte selbstverständlich sein und keine Ausnahme, für die man extrem dankbar sein kann.

Spätestens ein paar Wochen später hätte ich von der Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs erfahren. Unter dem Motto „Studieren mit Beeinträchtigung – nicht jede ist sichtbar“ gab es eine Infoveranstaltung zu genau diesem Thema. Die Einladung wurde an alle Studierenden geschickt, damit auch jede*r von dieser Möglichkeit weiß. So sollte es auch sein! Während der Veranstaltung wurde aber auch deutlich, dass es aktuell leider noch gar nicht so einfach ist, einen Nachteilsausgleich zu bekommen – besonders nicht bei unsichtbaren Erkrankungen. »Es sollte selbstverständlich sein, bei einer Beeinträchtigung einen Nachteilsausgleich zu bekommen und keine dankbare Ausnahme«, sagte die Referentin Prof. Dr. Marianne Hirschberg von der Hochschule Bremen. Schließlich sei ein Nachteilsausgleich dafür da, eine Chancengleichheit herzustellen für die Menschen, für die es schwieriger ist zu studieren – Leistung erbringen muss jede*r trotzdem gleich viel.

Was bedeutet das jetzt für mich?

Ich bin immer etwas zwiegespalten, ob es für mich gut ist, einen Nachteilsausgleich zu beantragen oder nicht. Er sollte dann optimalerweise jegliche mündliche Leistungen durch schriftliche ersetzen. Das wäre eine große Erleichterung. Aber gleichzeitig bestärkt es mein Vermeidungsverhalten und ich weiß auch, dass Ängste nur besser werden können, wenn man sich ihnen stellt. In meinem ersten Semester hatte ich zum Glück nur Kurse erwischt, in denen man keine Referate halten muss. Ich hatte nur einen Kurs, in dem der Prof die Studierenden einfach so dran genommen hat. Dem habe ich eine Mail geschrieben und ihn gebeten, mich nicht einfach so dranzunehmen, weil ich durch die Angsterkrankung dann auch eh nichts antworten könnte. Er war zum Glück sehr verständnisvoll. Sicherlich ist das auch Vermeidung. Aber da es schwierig genug war, überhaupt in den Vorlesungen zu sitzen, war ein bisschen Vermeidung für den Moment vielleicht auch in Ordnung.

Mein restliches Studium verlief online. Doch auch das bewahrt einen leider nicht vor Referaten. So schrieb ich zu Beginn jedes Semesters eine Mail an die entsprechenden Dozent*innen, erzählte ihnen von meiner Angsterkrankung und bat um eine alternative schriftliche Leistung. Für die meisten war das zum Glück gar kein Problem. Reagierte die Person mit Unverständnis, wählte ich den Kurs wieder ab. So kam ich relativ gut durchs Studium – auch wenn es natürlich Vermeidung war.

Ein letzter Schritt

Doch jetzt steht das Ende meines Studiums kurz bevor. Meine Masterarbeit ist geschrieben und abgegeben. Das heißt, es fehlt „nur noch“ die mündliche Prüfung. Seit Beginn des Studiums macht mir diese Tatsache Angst. Jetzt, wo es immer näher rückt, wird die Angst immer größer. »Ich glaube, ich schaff mein Studium nicht«, schrieb ich nach einer Sprechstunde mit meiner Prüferin weinend an Dickdarmlos. Dank ihr konnte ich wieder ein bisschen lösungsorientierter denken: Ich werde meinen Prüferinnen vorher per Mail meine Angsterkrankung mitteilen, weil das allein die Situation schon etwas einfacher für mich macht. Außerdem werde ich sie bitten, ob wir zwischendurch eine kurze Pause machen können, falls die Angst so präsent sein wird, dass ich kein Wort mehr sprechen kann. Und dann hoffe ich, dass ich diesen letzten Schritt meines Studiums irgendwie überstehen werde.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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