Gastbeitrag von: Chris

Vor nun genau drei Wochen rief mich mein kleiner Bruder (10) weinend an, meine Eltern hätten sich getrennt. Im ersten Moment traf es mich wie ein Schlag. Sofort bin ich los, so schnell wie möglich wollte ich nach Hause. Später erfuhr ich, dass meine Mutter, meinen Vater für einen anderen Mann verlassen hatte.

Kennengelernt haben sie sich wohl, in der Entzugsklinik. Details kenne ich bis heute nicht. Ehrlich gesagt interessieren sie mich auch einen Dreck. Wichtig ist nur, dass mein Vater davon erfuhr. Er stellte sie zur Rede und nachdem meine Mutter alles zugab, bot mein Vater ihr an, mit ihr den Neuanfang zu wagen. So traf sich meine Mutter dann an jenem Tag mit dem Mann, um die Sache zu beenden. Sie kehrte nie zurück.

Ich habe meinen Vater noch nie so zerstört gesehen, wie an diesem Tag. Nichteinmal verabschiedet hatte sie sich. Nicht bei ihren Kindern, nicht bei ihrem Ehemann. Für meine Geschwister habe ich versucht stark zu bleiben. Es ging nicht. Ich konnte einfach nicht mehr. Nach allem was wir durchgemacht hatten, wie konnte sie uns da so etwas antun!

Am nächsten Tag fuhr ich wieder zurück zum Elternhaus, um meine beiden kleineren Geschwister abzuholen, da ich mit ihnen einen schönen Tag in der Stadt machen wollte. Mich traf es erneut, als mein Vater mir erzählte, dass sie ihn nicht verlassen hätte. Tatsächlich ging sie nicht zu dem Mann, sondern in den nächsten Laden, um sich zu betrinken. Irgendwann war sie dann wohl so blau, dass sie ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Als sie am nächsten Tag einigermaßen ausgenüchtert war, spazierte sie leicht bekleidet zurück nach Hause.

Als mir mein Vater diese Geschichte erzählte, lachte er nur und sagte, dass solche Dinge eben passierten. So seie das Leben. Meine Mutter behandelte ihn erneut wie Dreck und er gab sich auch noch selbst die Schuld. Mit dem Mann trifft sie sich heute noch.

Ich bin so gottverdammt froh, dass ich nicht mehr zu Hause lebe. Nicht nur, weil ich das alles nicht mehr live erleben muss. Für steht dieser Moment heute, drei Wochen danach, eher für einen Bruch. Und zwar sowohl für meinen Vater, als auch für meine Mutter. Denn mir ist nun klar, dass mir beide nicht geben können, wonach ich mich im Inneren sehne.

So traurig es ist, ein Teil von mir war froh, dass meine Mutter nicht nach Hause kam. Denn das bedeutete, dass das alles endlich ein Ende hat. Das Trinken, die Unsicherheit, die Angst. Im Grunde ergab sich dadurch die Chance auf einen wirklichen Neuanfang, wodurch wir als Familie hätten ganz neu zusammenwachsen können. Dass mein Vater das alles mit sich immer noch machen lässt bedeutet, dass es diesen Neuanfang niemals geben kann. Denn anscheinend ist er unfähig für sich und seine Frau klare Grenzen zu setzen..

Wenn ich nun die letzten Wochen reflektiere, hat durch diese entgültige Einsicht, mein Wohnen in meiner Wohngemeinschaft eine ganz neue Bedeutung bekommen. Hier darf ich für mich Grenzen definieren, innerhalb derer ich mich wohl fühle. Diese Grenzen darf ich offen kommunizieren, muss aber gleichzeitig lernen flexibel zu bleiben.

Die erste Konsequenz meines Bruchs ist, dass ich nicht möchte, dass mich meine Mutter besucht. Wenn ich mich bereit und stark genug fühle, mit ihr in Kontakt zu gehen, dann gehe ich auf sie zu. Das mag einer Frau gegenüber hart klingen, der ich mein Leben zu verdanken habe. Aber wenn sie mir mein Leben damit zur Hölle macht, dass sie andauernd all meine Grenzen überschreitet, dann habe ich absolut das Recht, für diese einzustehen.

Seitdem ich die letzten drei Wochen nicht mehr zu Hause war, geht es mir immer besser. Anfangs, weil es einfach zu weh getan hat, an zu Hause zu denken. Für mich ist das nichts neues. Diesmal konnte ich meine Zeit ganz neu nutzen. Beim vergangenem WG Abend, bei einem Spieleabend, in der Berufsschule mit Freunden und Bekannten. Heute Abend werde ich mit zwei Bekannten aus meiner Selbsthilfegruppe ins Kino gehen. Ich kann mir nichts schöneres vorstellen.

Autor*in: Gastautor*in

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