Als natürliches Sandwichkind hat man ohnehin oft die A-Karte. Man wird nicht als Individuum angesehen und kommt oft zu kurz. Unter dem, was die Große verbockt hat, hat man als Sandwichkind zu leiden. Dazu bekommt man nur gebrauchte Kleidung (was in meiner Kindheit nicht dramatisch war) und man kann nicht mithalten, weil man noch nicht so viel kann wie die ältere Schwester. Absurder Weise wurde ich oft auf meine Schwester reduziert. „Ich kenne doch deine Schwester. Das reicht!“ oder „Nein, das darfst du nicht, weil deine Schwester..“.
Die Kleine ist das Nesthäschen. Obwohl sie eine andere Mutter hat als wir großen, hat sie sogar von meiner Mutter alles mögliche bekommen, wenn sie zu Besuch war. Und auch heute noch macht meine Mutter sich darüber Gedanken, was man meiner kleinen Schwester schenken könnte.
Dazu bin ich die vermeindlich einzig „Gesunde“ unter uns. Meine gesamte Familie, inbegriffen mir, ist von physischen und psychischen Krankheiten überschüttet. Dennoch denken alle, dass ich bis auf meine FAP kerngesund sei. Ich würde nicht unter der Schizophrenie meiner großen Schwester, den Depressionen und psychosomatischen Beschwerden meiner kleinen Schwester, der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) meiner Mutter, diversen Krebserkrankungen usw. der anderen leiden. Alle meine Freunde wissen, wie sehr ich gerade unter der Schizophrenie und der PTBS meiner Familienmitglieder leide. On top kämpfe ich ja auch mit Folgen meiner eigenen Erkrankung … Aber meine Eltern sehen mich nur als starke Person, die allem Stand hält – wie eine Stahlwand.

Nun gibt es einige Veränderungen in meinem Leben. Ich werde umziehen. Demnach kommen Kosten auf mich zu: Die Doppelmieten, die Kaution, der Umzug an sich, neue Möbel, die Kosten für die Küche, Farben, der Semesterbeitrag … Ohne Erspartes könnte ich diese Kosten nicht stemmen. Ich bettel meine Eltern nicht um Geld an und bin froh, dass mein Vater mein Studium finanziell unterstützt. Das erleichtert mir nun auch den Umzug.
Parallel passiert jedoch folgendes: Meine große Schwester, welche circa die letzten 10 Jahre mehr auf der Straße verbrachte als sonst wo, zieht in eine Wohnung. Sie hat nie im Leben gearbeitet, keinen einzigen Cent verdient, bekommt alles vom Amt finanziert und weiß es nicht einmal zu schätzen. Sie driftet in eine wahnhafte „Nazi-Ansicht“. Entsprechende Wörter und Rufe gehören zum dauerhaften Sprachgebrauch – und das bei einer Familie, die ursprünglich aus der DDR kommt. Ich bin über das, was sie sagt und schreibt, einfach nur erschüttert. Meine Mutter lässt sich manipulieren. Greift meiner Schwester permanent unter die Arme, fährt überall für sie hin, kauft ihr ALLES, was sie braucht, besorgte ihr die Wohnung usw. Sie nimmt ihr so viele Kosten und Arbeit ab wie nur möglich.
Und was passiert gegenüber mir? „Ich kann dir nichts kaufen, weil….“  „Wir müssen unsere Einkäufe, wenn du zu Besuch bist, komplett trennen.“
Ich habe einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit bzw. Fairness in diversen Bereichen. Es verletzt mich in meiner Wertevorstellung immer wieder. Ich hänge zwischen den Stühlen, versuche ein unabhängiges Leben zu führen und müsste ohne die Unterstützung meines Vaters mit deutlich weniger Geld zurecht kommen als einem Sozialhilfeempfänger zur Verfügung steht – und das trotz Mehrkosten aufgrund meiner Krankheit. Was bekomme ich dafür? Eine unfaire Ohrfeige. Ich falle einfach bei voller Fahrt vom Laster runter. Grundsätzlich bin ich auch glücklich so, wie es ist. Mir ist meine Bildung sehr wichtig. Ich bin ein sehr wissbegieriger Mensch und will lernen, mich weiterbilden. Für mich ist es der richtige Weg, deswegen Abstriche zu machen, in verhältnismäßig ärmlichen Verhältnissen zu leben und dafür glücklich leben zu können.

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

in Zusammenarbeit mit:

Logo Schon mal an Selbsthilfegruppen gedacht?