Gastbeitrag von: live_as_a_phoenix

Die ersten 30 Jahre meines Lebens habe ich mit wenig Selbstvertrauen gelebt. Ich weiß, wie es ist, wenn man gerne wollen würde, sich aber nicht traut. Wenn einen innerlich etwas zurückhält, weil man Angst hat sich zu blamieren und zu versagen. Daher bin ich lange Zeit die Strategie gefahren, dass ich mich an starke Personen gehalten habe, die die Sachen für mich geregelt, für mich das Wort ergriffen oder mich mitgezogen haben, egal ob Bruder, Freunde, Kollegen oder Partner. Das war einfach für mich, aber es nahm mir auch meine Selbstständigkeit und damit mein Selbstvertrauen und meinen Selbstwert.

Dann brach ich aus, aus diesem System. Nicht wie damals in der Pubertät, nicht auf eine rebellische Art und Weise. Nach einem schweren Schicksalsschlag merkte ich, dass ich mich verändern musste. Ich traf die Entscheidung, mich nach nur einem Jahr Ehe von meinem damaligen Mann zu trennen. Das war ein harter Schritt, aber es war gleichzeitig auch der erste mutige Schritt, den ich nach Jahren wieder gemacht hatte. Ich war früher schon mutig gewesen, aber das hatte ich im Laufe der Jahre vergessen. Ich hatte in dieser Zeit jemanden kennengelernt, der mich verstand. Dem ich mich anvertrauen konnte und mit dem ich stundenlang über alles reden konnte. In mir blühte Hoffnung auf. Hoffnung auf einen Neuanfang. Hoffnung auf ein neues Leben. Ich beschäftige mich viel mit mir und mit Psychologie. Ich kaufte mir viele Bücher und probierte viel aus. Nach und nach lernte ich mich wieder neu kennen. Ich merkte, welche Charaktereigenschaften ich habe, welche Eigenschaften mir bei anderen wichtig sind und ich entwickelte eine Vorstellung davon wie ich leben wollte. Und dann gab es da noch meine neue Beziehung, in der ich mich mit der Zeit doch immer mehr verlor und in der die Gefühle trotz allem so extrem stark waren. Ich mochte mich oft selber nicht dafür, wie ich mich verhielt und wie ich mich und meine Bedürfnisse und Gefühle wieder immer mehr unter den Scheffel stellte.

 

Bis zu dem Tag, an dem ich den nächsten Schicksalsschlag hinnehmen und verkraften musste und ich zum zweiten Mal um mein Leben kämpfen!

 

Schon während der Therapie wurde unser Kontakt weniger und kurz vor Ende der Therapie kam es zur Trennung. Danach ging es für mich erstmal zur Erholung auf einen Segeltörn mit anderen Betroffenen und dann in die Reha. Dort fing ich wieder von neuem an mich aufzubauen, sowohl psychisch als auch physisch. Mittlerweile sind 2 Jahre her. Zwei Jahre, die ich mal nur für mich hatte. In den zwei Jahren habe ich soviel gelernt, über mich, über das Leben, wie in vielen Jahren davor nicht.

 

Hin und wieder (gerade im Job) tappe ich noch häufiger in alte Verhaltensweisen. Danach ärgere ich mich darüber, aber ich weiß auch, dass ein Verhalten, welches man 30 Jahre lang angewendet hat, tief verankert ist und man in unerwarteten und unangenehmen Situationen instinktiv handelt, nach den alten, antrainierten Verhaltensweisen.

Je mehr ich in Situationen anders handel und mutiger bin, umso mehr wird es sich festsetzen und das alte Verhalten verdrängen. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, vor Situationen und Gefühlen wegzulaufen. Sie holen einen immer wieder ein. Ob man will oder nicht. Daher habe ich angefangen, mich dem zu stellen und daran zu arbeiten. Und das tue ich. Oft. Ich werde auch später hin und wieder anderen die Führung bzw das Wort überlassen, aber dann weil ich es so möchte und weil es manchmal gut tut Unterstützung anzunehmen. Ich habe mein Ziel klar vor Augen und höre nicht auf, bis ich die Früchte meine Arbeit ernten darf.

 

Mein Selbstvertrauen ist zurück. Nein, nicht nur zurück. Es ist größer geworden, viel größer. Ich fühle mich wohl mit mir, in meiner Haut. Ich brauche keine starken Menschen mehr, die meine Sachen regeln. Ich bin selbst zu einem starken Menschen geworden. Ich bemerke, dass immer mal wieder an mir und dann halte ich einen Moment inne und nehme die Rolle des Betrachters ein. So als ob ich in diesem Moment in einen Spiegel schaue. Dann sehe ich mich lächeln, lebendig und glücklich sein und bin doch auch verwundert darüber, wie sehr man sich ändern kann, wenn man sich innerlich frei fühlt. Ich habe das Leben für mich als Spielwiese entdeckt, auf der ich mich endlich entfalten und ausprobieren kann. Meine Neugier, meine Zuverischt und mein Selbstvertrauen sind größer geworden, als die Angst mich zu blamieren. Ich halte die Fäden meines Lebens nun (wieder) selbst ganz fest in meinen Händen und traue mir mittlerweile zu sie eigenständig zu führen.

Autor*in: Gastautor*in

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