Es ist schon paradox. Total seltsam. Doch gleichzeitig auch irgendwie normal und typisch für mich. Ich weiß ganz genau, dass mir das Schreiben dabei hilft, in die Gänge zu kommen, meine Ängste zu überwinden, meine Gedanken zu Ordnen und den Tag mit etwas positivem zu starten oder zu beenden. Doch irgendwie kostet es mich jedes Mal große Überwindung oder ich nehme es mir vor, und mache es am Ende doch nicht.
Ein spannendes Monatsthema zieht von Monat zu Monat an mir vorüber. Plötzlich stelle ich fest, dass der Jahreswechsel wieder drei Monate her ist. Auf einmal wird mir bewusst, dass mein letzter eigener Beitrag schon ein halbes Jahr zurückliegt. Dann ist es auch schon da. Das Gefühl der Schuld. Klopft an. Nicht mehr zaghaft. Sondern laut. Polternd. Kräftig. Kaum zu überhören. Möchte reingelassen werden. Sich zutritt verschaffen. Mich fertig machen. Nicht nur mit Worten, die ich nun schon so lange mehr als deutlich hören kann. Die den gesamten Raum füllen. Jeden auch so kleinen Gedanken an anderes vertreiben. In jede auch so enge Ritze kriechen.
Davor verstecken, unmöglich. Weglaufen, keine Chance. Mit Ausreden lässt es sich nun auch nicht mehr bändigen. Hat sich daran gewöhnt, mit den Worten: „Ich habe keine Zeit“ „Morgen passt es mir besser“ „Ich habe noch so viel zu tun.“ abgespeist zu werden. Ich selbst schaffe es auch nicht mehr, diese Worte von mir zu geben. Haben jede inhaltliche Bedeutung mittlerweile verloren. Sind nur noch Laute. Leere Hülsen.
Was bleiben mir noch für Optionen, wenn das Verstecken nicht mehr möglich ist und ich auch nicht mehr fliehen kann? Nicht mehr viel. Aufgeben vielleicht? In Schockstarre verfallen? Sich tot stellen? Vielleicht haut es dann ja ab und lässt mich in Ruhe? Sucht sich ein anderes Opfer. Tobt sich bei diesem aus bis es… Bis es letzten Endes wieder kommt. Dann aber mit Werkzeug bewaffnet.
Was also tun? Eine Möglichkeit bleibt mir noch. Die Tür selbst öffnen und es einfach reinlassen. Ein Blick durch den Türspion ist nicht nötig. Ich weiß doch genau, wer da ruft, klopft und poltert. Ist nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, dass die Tür belagert wird. Warum dann einfach nicht öffnen und es reinlassen.
Die Tür ist offen. Ich habe es reingelassen. Nein nicht reingelassen. Ich habe es reingebeten. Das Gefühl der Schuld, für das ich es anfangs gehalten habe und immer wieder halte und wie ich mich kenne, auch in Zukunft halten werde, ist es nicht. Es ist nicht das Gefühl der Schuld, das fortwährend angeklopft hat. Es war vielmehr ein guter Freund, der da vor der Tür gestanden hat. Der mich daran erinnern wollte, dass das Schreiben mir doch so viel Spaß macht und dass ich es liebe. Dass ich es liebe, meine Gendanken in Worte zu fassen. Dass ich es liebe, durch das Schreiben mehr über meine Gefühle zu erfahren. Dass ich es liebe, durch das Schreiben ein tieferes Verständnis von mir zu bekommen.
Während ich so am Schreibtisch sitze, bin ich diesem Freund unglaublich dankbar. Dankbar, dass er nicht aufgegeben hat und vehement geklopft hat, um mich an all das zu erinnern. Gleichzeitig bin ich auch nicht nur ihm sondern auch mir gegenüber dankbar. Dass ich nicht aufgegeben habe. Dass ich nicht mehr versucht habe, ihn und letzten Endes auch mich mit Worten zu vertrösten. Dass ich nicht in Schockstarre verfallen oder geflüchtet bin. Dass ich die Tür geöffnet habe und mich ihm gestellt habe, dem Gefühl der Schuld, dem Monster vor der Tür, das letzten Endes keins gewesen ist, sondern ein guter Freund war, der mich an mich erinnert hat.

 

Autor*in: Bossi

Ich möchte meine eigene Gruppe etwas anders angehen und die üblichen Runden einer Selbsthilfegruppe mit ein paar innovativen Methoden etwas beleben. Über eben diesen Einsatz von Methoden in der Selbsthilfe, meine Erfahrungen damit und meine persönliche Suchtgeschichte möchte ich im Blog berichten und mich darüber austauschen.

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