Wie sieht Glück für dich aus?

Für mich ist es ein mythisches Grün, das nicht schöner in schwarz-weiß mit braunen Augen umherspringen könnte. Du hast richtig gelesen: Das Wort Glück ist für mich Moosgrün. Gleichzeitig aber schwarz-weiß-braun.
Mein Glück hört auf den Namen „Mücke“, hat vier Pfoten, eine neugierige Nase – Und einen Herzschrittmacher.

Und dann gibt es mich: Einen Roboter mit speziellen Systemfunktionen.

Stell dir einmal vor, alles um dich herum sieht aus wie ein Film, wirkt nicht real. Du empfindest weder Hitze noch Kälte, spielst erlernte Programme ab: Aufs Fahrrad setzen, treten, lenken, bremsen. Das geht so lange, bis du dich nicht weiter bewegen kannst – bestenfalls die Augen öffnen und schließen.
Und wenn du wieder ansprechbar bist, du auf die Frage „Was war denn los?“, die Fehlermeldung SYSTEM: Error 404 Page not found erhälst. Das ist mein Alltag. Ich bin wie ein Roboter, mit all meinen Dissoziationen.
Dissoziation, das heißt, dass meine Wahrnehmung in solchen Momenten anders bis gar nicht funktioniert. Sowas nimmt bei mir unterschiedliche Formen an: Verschwommen sehen, „dumpf“ bzw. gar nicht hören, Minuten bis Wochen einfach vergessen, Temperaturen nicht empfinden können und vieles mehr. Man spricht in der klinischen Psychologie vom „Verlust der körperlich-psychischen Einheit [einer] Person“ [1].
Und manchmal ist es so viel, da erscheint ein Timer. Ein Timer bis zur Datenlöschung. 3… 2… 1… Krampfanfall!
Aber ich bin kein Roboter. Ich will lebendig sein, lachend durch die Welt stiefeln und meine Zukunft glücklich verbringen.
Leider habe ich in den meisten Selbsthilfegruppen (von denen es nur sehr wenige für Männer mit Dissoziationen gibt!) die Erfahrung gemacht, dass kaum wer gern über seine Erkrankungen spricht. Und noch weniger nehmen manch Situation im Alltag mit Humor.
Das ist nicht verwunderlich, denn über Erkrankungen zu sprechen braucht Mut und Vertrauen. Zumal sich jeder erst einmal die Frage stellen muss, wie und was er von sich Preis gibt.

Es ist nicht leicht, offen mit Erkrankungen und Besonderheiten umzugehen.

Das müssen eigentlich alle lernen, denn jeder hat besondere Eigenschaften. Der eine mehr, der andere weniger. Mein Hund ist ein Cyborg. Sein Herz wird von Metall samt Batterie unterstützt. Ich fühle mich manchmal wie ein Roboter, dabei bin ich nur ein Mensch mit ein paar mehr Merkmalen. Denn: Neben der Synästhesie und der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS), welche die Dissoziationen mit sich bringt, bin ich auch Trans* (Frau zu Mann).

Mein Rezept für den Umgang mit miesen Kommentaren?

Wenn man sich der Welt öffnet, muss man verdammt stark sein. Es können so unfassbar viele böse Kommentare kommen – Nicht nur im Internet. Vermeiden kann man das gar nicht, allerdings kann sich jeder dagegen rüsten. Mein persönliches Rezept?
Man kippe ein wenig Selbstironie, etwas Sarkasmus, unendlich viel Mut, ganz viele Farben und die Fähigkeit, denken zu können in einen Topf. Gut umrühren, dem ganzen Zeit geben. Der ein oder andere mag jetzt die Wörter „Das Gute daran, ist das Gute darin“ im Kopf haben.
Und damit springt mein Counter für schlechte Werbesprüche in ernsten Situationen auf 1 :D.

Quellen

[1] spektrum.de, Lexikon der Psychologie, Dissoziation 2), 25.4.21

Autor*in: Glückskind

Wie man aus dem persönlichen Horrorfilm 'ne Komödie macht? Man kippe Synästhesie, eine kPTBS, Queer* sein und ganz viel Glück in einen Topf. BOOM! Schau an, das Glückskind lebt!

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