Wenn ich über Scham nachdenke, mag mir zunächst nicht viel einfallen. Gleichzeitig, wenn ich einige Augenblicke innehalte und zurückblicke, ist die Scham ein ständiger Begleiter meines Lebens.
Seit meiner Kindheit begleitet mich das Gefühl der Scham. Dadurch, dass ich mit einer Behinderung zur Welt gekommen bin, bzw. bei der Geburt das große Los gezogen habe, eine mit auf den Weg bekommen zu haben, wusste ich bzw. noch bevor ich einen Begriff vom Wissen hatte, fühlte ich, dass ich irgendwie anders als die anderen bin. Ich laufe anders. Ich bin grobmotorischer als die anderen. Ich bin derjenige, der  in den verhassten Sportstunden immer als letzter gewählt wird. Den keiner in seiner Mannschaft haben möchte. So dass ich früh lernen musste, meine Behinderung als starken Makel an mir wahrzunehmen und diese zu einem großen Quell der Scham wurde. Noch bevor die Situation im Sportunterricht überhaupt eingetroffen ist, habe ich mich bereits mit einem mulmigen Gefühl in die Umkleidekabine begeben und begonnen für eine Situation zu schämen, die vielleicht an diesem einen Tag nicht eintreffen wird, aber in der Vergangenheit so oft stattgefunden hat, dass sie sich fest in meinen Kopf, in meinen Körper, in mein Herz gebrannt hat und darin die tiefsten Spuren und die größten Narben hinterlassen hat.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass ich heute nur bedingt mit der Behinderung klar komme. Ich habe zum Glück lernen können, dass diese zwar nicht etwas sein darf, wofür ich mich schämen muss und eigentlich glücklich sein kann, dass ich überhaupt lebend zur Welt kommen konnte, und doch sitzen diese Momente aus der Kindheit noch sehr tief in mir. Nur weil etwas nicht sein darf, heißt es noch lange nicht, dass es nicht so ist.
Es war damals das größte für mich, trotz vieler unnötiger Diskussionen mit dem Lehrkörper und dem Rektorat eine Sportbefreiung für die Benotung zu bekommen. Auch wenn es für alle Parteien offensichtlich gewesen ist, dass eine Benotung meiner Leistungen keinen Sinn ergibt, und alles dafür gesprochen hat, mich nicht zu benoten, musste diese in einem mühsamen Prozess erstritten werden.
Heute frage ich mich, wieso das ein so mühsamer Prozess sein musste, wenn es doch für alle offensichtlich gewesen ist. Manchmal frage ich mich, ob es einen gewissen Sadismus des Lehrkörpers befriedigt hat, mich leiden zu sehen oder ob das Rektorat einfach seine Macht demonstrieren wollte und eine solche Befreiung als eine persönliche Niederlage für sich verbucht hat.
Auch wenn die Scham aus diesen Kindertagen noch heute ihren langen Schatten wirft, merke ich gerade, dass ich nicht derjenige bin, der sich für seine Behinderung schämen müsste. Es sind die Menschen, die mir, dem schon von Geburt an Steine in den Weg gelegt worden sind, noch Stöcke zwischen die Beine werfen, sich eigentlich für ihr Verhalten schämen müssten und es auch sollten!

(Das Beitragsbild wurde mithilfe der KI „Midjourney“ erstellt)

Autor*in: Bossi

Ich möchte meine eigene Gruppe etwas anders angehen und die üblichen Runden einer Selbsthilfegruppe mit ein paar innovativen Methoden etwas beleben. Über eben diesen Einsatz von Methoden in der Selbsthilfe, meine Erfahrungen damit und meine persönliche Suchtgeschichte möchte ich im Blog berichten und mich darüber austauschen.

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