Ich befinde mich seit ner gefühlten Ewigkeit in meinem Masterstudium. Da ich aufgrund einer depressiven Episode zwischendrin 2 Urlaubssemester einlegen musste und meine Studienordnung während dieser Zeit geändert wurde, muss ich nun Module abarbeiten, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Absolut ätzend kann ich euch sagen. Ich renne einer Ersatzleistung nach der nächsten hinterher. Hausarbeiten, Hausarbeiten und noch mehr Hausarbeiten. Und jetzt muss ich auch noch eine Gruppenhausarbeit schreiben – mit 2 Leuten, die ich kaum kenne. Ein Traum… Was objektiv betrachtet wie eine ertragbare Unannehmlichkeit klingt, ist für mich die reinste Folter, weil a² + b² = c².

Ich tu‘ euch den Gefallen und lös‘ die Gleichung mal auf:

An sich liebe ich es zu schreiben, aber im Unikontext ist das ne ganz andere Nummer. Laut meinen Noten bin ich „sehr gut“ darin – liegt aber weniger daran, dass ich es draufhabe, sondern daran, dass mein zwanghafter Perfektionismus ein richtig mieser Kollege ist und mir stets 200% abverlangt. Nie – und ich meine wirklich NIE – ist etwas, das ich tue, aus der Sicht meines inneren Henkers gut genug. Schon gar nicht, wenn das, was ich tue, von anderen beurteilt werden muss. Für mich fühlt es sich an, als würde mein ganzes Leben von diesem Urteil abhängen. Klingt übertrieben, ich weiß, schließlich geht’s gerade nur um eine Note. Mir ist zwar völlig klar, dass kein apokalyptischer Feuerregen auf mich niederprasseln wird, aber ein Teil von mir lebt in der ständigen Angst, durchzufallen, aufgrund dessen das Studium nicht zu schaffen, aufgrund dessen keinen Job zu finden und aufgrund dessen arm zu sein. Keine Sorge, ich verschone euch vorerst damit, die Liste meiner irrationalen Ängste zu vervollständigen. Weil die Stimme in meinem Kopf mir permanent versucht einzureden, dass ich ohnehin nur Mist produziere und ich mich andauernd in endlosen Recherchearbeiten verstricke, sieht mein Schreibprozess in etwa so aus: schreiben, lesen, löschen, verzweifeln, schreiben, lesen, löschen, verzweifeln, schreiben, lesen, löschen, verzweifeln… Dieses Trauerspiel kostet mich jedes Mal aufs Neue unfassbar viel Zeit und noch unfassbarer viel mehr Energie. Nicht selten bekomme ich beim Näherrücken der Abgabetermine Bauchprobleme. Demnächst darf ich deshalb sogar in den Genuss einer Magenspiegelung kommen.

So weit, gar nicht mal so gut und so viel erstmal zum Summanden a².

Zwischenmenschliche Interaktionen stellen die wohl größte Challenge meines Lebens dar. Ich befürchte ständig, dass Leute mich komisch finden (nein, ich meine nicht „witzig“ komisch, sondern „komisch“ komisch). Während ich stets bemüht bin, meine selbstattestierte Weirdness zu verbergen, kreisen meine Gedanken non-stop darum, bloß keinen Fehler zu machen und dafür auf irgendeine Art der Ablehnung zu stoßen. Was für Fehler wollt ihr wissen? Hier eine kleine Auswahl: blöd gucken; seltsam sprechen; in Gesprächen abschweifen; unlogisch argumentieren; nervig sein; überheblich sein (weil ich zugegebenermaßen hin und wieder zum Klugscheißen neige); launisch, stressig oder ganz einfach kompliziert sein. Mein Gedankenkreisen nimmt oft so viel Raum ein, dass ich mich schlecht auf das Wesentliche fokussieren kann und ich mich schusselig anstelle. In der Regel schäme ich mich dann für mich oder werde einfach wütend. Meine mir bewusster werdenden, wirklich exzellenten Überspielungsmechanismen sorgen zwar dafür, dass man mir dieses innere Drama nicht anmerkt, trotzdem laufe ich auf Eiern, bin angespannt und unsicher. Ich könnte jeder Zeit auffliegen, dabei erwischt werden, was für ein hoffnungsloser Fall ich bin.

Ungut irgendwie, aber sei es drum… Ihr seid nun im Bilde über den Summanden b².

Ich denke, es leuchtet auch ohne große Umschreibung ein, dass die Kombination dieser beiden Tatsachen (ihr erinnert euch: Gruppenhausarbeit) so viel Chaos in mir anrichten wird, wie ein Hurrikan in der Karibik. Damit hätten wir die Summe der Gleichung: c².

Ich habe noch keinen konkreten Plan, wie ich dem Ganzen möglichst konstruktiv begegnen soll. Beim bloßen Gedanken an das nächste Zoom-Meeting mit meinen Kommilitoninnen wird mir schlecht – wie zur Hölle soll ich denen bitte meine kranke Arbeitsweise klarmachen? Mein Therapeut würde sagen, dass dieser Alptraum „Gruppenarbeit“ eine schöne Übungssituation ist (ich mag ihn wirklich sehr, aber manchmal mache ich mir echt Sorgen um seinen Humor). Er würde mir Mut und mich auf meine bisherigen Fortschritte aufmerksam machen. In der Theorie bin ich voll bei ihm: ich habe es bereits geschafft, eine Hausarbeit zu schreiben, in der ich gefühlt „nur“ 85% gegeben und das sogar überlebt habe. Wow. Was für ein Struggle das war, ist eine andere Geschichte. Auch übe ich mich fleißig darin, in der Interaktion mit anderen eine Prise „egal“ einzustreuen – jedes Mal krass anstrengend und gelingt bei weitem nicht immer. Beides Fortschritte, ja; für sich genommen allerdings jeweils Beginner-Modus. Die Gruppenarbeit bedeutet für mich, beides gleichzeitig wuppen zu müssen. Advanced-style also.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Ich freue mich drauf…

Autor*in: Sky Walker

Die längste Zeit meines Lebens war ich der Überzeugung, ich sei einfach anders als die meisten Menschen – nicht ganz „normal“. Ich litt unter meiner inneren Verfasstheit, die das Resultat meiner problematischen Kindheit ist und versuchte jeden Tag aufs Neue, irgendwie mit mir und der Welt klarzukommen. Diverse Ängste, rezidivierende Depressionen, ein Helfersyndrom, Leistungssucht und Perfektionismus sind nur einige meiner ständigen Begleiter. Angetrieben von der ständigen Suche nach dem Sinn meiner Existenz kam es Anfang 2021 zum Totalausfall: 30 Jahre jung, studierunfähig, arbeitsunfähig, lebensunfähig. Nix ging mehr und ich war buchstäblich gezwungen, mich um meine seelische Gesundheit zu kümmern. Seither befinde ich mich auf dem beschwerlichen und doch lohnenswerten Weg der Heilung. Hier im Blog möchte ich über die Schwierigkeiten schreiben, die mein Leben mit komplexen Traumafolgestörungen mit sich bringt und darüber, wie es mir Schritt für Schritt gelingt, besser mit diesen Hustles umzugehen. Außerdem überlege ich (wenn ich mal groß bin:), eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Misshandlungserfahrungen in der Kindheit zu gründen – bis dahin lerne ich, was es dafür braucht, lasse mich von den Selbsthilfegruppen-Erfahrungen Anderer inspirieren und genieße es, mit ihnen im Austausch zu sein. In diesem Sinne: man liest sich!

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