„In diesem Text geht es um sexualisierte Gewalt. Bei manchen Menschen kann dieses Thema extreme Reaktionen auslösen. Bitte lies diesen Beitrag nicht, wenn du selbst betroffen sein solltest und das Thema dich triggert.“

 

 

Ich war schon ziemlich überrascht, als ich aus meinem dreimonatigen Klinikaufenthalt nach Hause kam und in meinem Entlassbericht stand, dass meine PTBS nicht mehr besteht, sprich „Zustand nach PTBS“. Tatsächlich habe ich mich aber nicht weiter damit befasst, schließlich war ich ja wegen Borderline grade ziemlich eingespannt. Habe eine richtige Therapieform für mich bekommen und mein ADHS wurde zudem auch frisch diagnostiziert.

Also eine Menge anderes zu tun.

In der Klinik wurde tatsächlich auch schon angeraten, dass ich meine Medikamente die ich seit einigen Jahren nun schon regelmäßig nehme, langsam aus schleichen sollte, es zumindest in Betracht ziehen.

Da die Medikamente die ich nehme für eine Erkrankung welche damals fälschlicherweise diagnostiziert wurde zugelassen sind, nicht aber für Borderline, wobei die Symptome die diese in Schach halten die selben sind.

Natürlich weigerte ich mich in der Visite, ich hätte gerne gesehen wie mein Gesicht runter gefallen ist, als ich diese Information erhalten habe – sah bestimmt filmreif aus.

Ich weigerte mich vehement, schließlich geht es mir mit den Medikamenten gut, ich spüre die Symptome zwar immer noch, allerdings, dämpfen sie diese so ab, dass ich mich nicht reinfallen lasse – in den meisten Fällen zumindest.

Sprich, irgendwelche fixe Ideen, dass zum Beispiel jemand wieder sauer auf mich sein muss, weil ich irgendwas falsches gesagt habe. Ich meine mein „OK“, kann ja sehr verletzend und niederschmetternd sein.

Mit dem Medikament konnte ich solche Gedanken wie im Handumdrehen einfach abschütteln, ohne großartige Anstrengungen.

Wenn ich mich mal nicht sonderlich gut gefühlt habe, bin ich nicht direkt in eine Depressionsspirale gefallen, die sich wochenlang ziehen kann.

Ich konnte mich auf einmal auf meine Waage stellen und nicht bei einer 0,5 Kilo Schwankung zwischen Euphorie und Verzweiflung umherwandern. Es war mir schlichtweg egal. Nicht „egal“, es hatte einfach keinen negativen Effekt mehr auf mich und ich konnte endlich gesund abnehmen, ohne wieder Essanfälle zu bekommen.

Ich konnte viel besser mit meinem Emotionen umgehen, sprich mit meinen Stimmungsschwankungen und auch mit Stress deutlich besser umgehen. Ich hatte keinerlei Panikattacken mehr, eigentlich fast gar keine sozialen Ängste mehr, nur noch periodisch unter starker Anspannung.

Ich setze sie doch ab, warum?

Als dann die ADHS Diagnose im Raum stand, endlich so richtig offensichtlich, mir viele Erinnerungen hochgekommen sind, die erklärt werden konnten, sah ich ein wenig Hoffnung. Hoffnung darin, besser an mir arbeiten zu können, mich besser verstehen und möglicherweise ein Medikament für diese quälenden Symptome zu nehmen.

Die Hoffnung, nicht mehr 5 mal zu vergessen, dass meine Kaffeemaschine an ist weil ich mir ja einen Kaffee machen wollte. Nicht direkt zu vergessen wo ich meine Sachen hingelegt habe, die ich vor 1 Sekunde noch in der Hand hatte.

Ein Buch lesen zu können, nicht nur weil ich mich als Schutzmechanismus rein flüchten muss, sondern weil ich es will.

In meiner Recherche wurde mir dann klar, dass meine bisherigen Medikamente die ich nahm mit der neuen geplanten ADHS Medikation Wechselwirkungen haben kann. Wechselwirkungen die ich nicht in Kauf nehmen wollte, so setzte ich sie ab. – ACHTUNG WORTLAUT – Ja ich setzte sie ab und schlich sie nicht aus….

Ob mir das zum Verhängnis wird?….

Um das ganze abzukürzen, das ADHS Medikament hat nichts gebracht, locker 1,5 Monate nahm ich es und nichts passierte, außer das ich weniger Hunger hatte. Na Toll…

Also schlich ich es wieder aus. Jetzt nach fast einer Woche wieder ohne – kein Unterschied. WOW.

Aber warum schreibe ich das alles denn?

Naja sagen wir mal so, das Absetzen des ADHS Medikaments hat keine Probleme verursacht, das der anderen allerdings schon.

Überladung in 1, 2, – Funktionsmodus wurde aktiviert

Langsam, kaum spürbar, aber doch sehr überrollend holten mich meine Stimmungsschwankungen wieder ein. Meine intensiven Gefühle überwältigten mich wieder mehr als zuvor. Ich kompensiere wieder mit Essen, habe seit kurzen sogar wieder Rückfallträume, weil ich nichts mehr möchte als klarzukommen…

Steigere mich wieder mehr in Emotionen rein. Ganz ungewollt. Spüre keine Grenzen meines emotionales Gerüsts. Werde überschwemmt von nicht auszuhaltenden Emotionen und bevor ich ertrinken könnte – Weg. …

Ja, alles weg. Emotionen – weg. Gedanken – weg. Ich – weg?

Ich konnte es überhaupt nicht einordnen, natürlich kannte ich dieses „Gefühl“, aber was das war? Keine Ahnung. Konnte es erst einordnen als mir mein Online Therapieprogramm Informationen liefern konnte.

Emotionale Dissoziation. – ist man bei einer Disso nicht komplett weg? Also kann sich nicht mehr bewegen und reagiert nicht mehr? – Dachte ich auch, ich meine das ist das was ich auf Station gesehen habe. Um mich herum viele Menschen die dissoziiert sind. Viele komplett weg, andere Krampfanfälle und einige wenige sogar andere Persönlichkeiten.

Aber innerlich tot zu sein? Nichts mehr zu fühlen und den Zugang zur Persönlichkeit verlieren? So wurde mir das nie wirklich erklärt, das dass tatsächlich dazu gehören kann.

Um den Zustand vielleicht noch etwas aufzuschlüsseln, mit „ich fühle gar nichts“ übertreibe ich vielleicht ein wenig, weil ich fühle etwas. Eine Leere in meiner Brust die jeder Zeit implodieren könnte. Als würden alle meine Emotionen in einen kleinen Kerker geschlossen in meiner Brust versuchen sich freizukämpfen bevor sie letzten Endes komplett verschlungen werden.

Ich fühle Wut, Reizbarkeit, Energie. Energie die dafür sorgt zu funktionieren. Zu agieren. Da ist der springende Punkt. Ich habe es versucht in meiner Gruppe zu erklären.

Es ist so als würde ich wissen, was ich täte, ich agiere weil ich es täte, aber nicht weil ich überzeugt davon bin. Sondern weil ich rein faktisch weiß, das ich es so machen würde.

Beispiel:

Ich habe einer Freundin angeboten, mich in der Gruppenpause zu melden weil es ihr nicht so gut ging. Ich meldete mich auch bei ihr und wartete auf eine Nachricht. Ich starrte auf den Bildschirm und wartete, weil das genau das ist was ich tun würde.

Aber:

Ich habe nur angeboten mich zu melden, weil ich es tun würde. In diesem Moment habe ich aber nichts gefühlt was ein solches Angebot in Gang setzen würde. Beispielsweise Sorge. Zu sagen es war mir schlichtweg egal wäre auch gelogen. Weil sonst hätte ich es ja nicht anbieten müssen.

Habe mich auch dann gemeldet, weil ich weiß das ich ein Mensch bin, welcher seine Versprechen versucht immer einzuhalten. Wusste aber auch, dass ich eigentlich noch angerufen hätte, weil keine Antwort kam. Normalerweise hätten sich schon Filme in meinem Kopf breit gemacht. Beispielsweise, dass ihr was passiert sein muss. War nicht der Fall. Weil solch einem Gedanken müsste ja auch ein Gefühl vorausgehen, ob man es spürt oder nicht.

Nach der Pause oben wieder angekommen, hat mein Gruppenleiter es geschafft mich anzusprechen und die richtigen Fragen zu stellen. Die Fragen, welche maßgeblich dafür sind warum ich das hier schreibe, weil ich mir Gedanken darüber gemacht habe. – Dazu später mehr.

Die Wut die ich vorhin erwähnte, oh ja, die hab ich raus hängen lassen. Ich weiß ich hätte in Momenten in denen ich überladen wäre noch mehr explodieren können, aber ich war ja nicht mehr überladen, weil alles eingesperrt war. Ich wusste aber auch, dass ich normalerweise reden würde, mich vielleicht ein bisschen aufregen.

Und um ehrlich zu sein, es hat schon gereicht, dass er gesehen hat, dass ich mich unten abgekapselt habe. Da hat er schon ein kleines Loch, in den Kerker geschlagen.

Natürlich wollte ich es nicht zugeben, weil ich Angst hatte – Ja Angst – er könnte genau die richtige Frage stellen die mich überwältigen würde.

Zustand nach Posttraumatischer Belastungsstörung? – HÄ?

Jetzt eine Woche später habe ich viel darüber nachgedacht, mich informiert, war bei einer Vorlesung mit dem Thema der Posttraumatischen Belastungsstörung um es herunterzubrechen.

WOW, sie war scheiße triggernd, aber genau das habe ich irgendwo gebraucht. Auch wenn Trigger unglaublich schlimm sind. Wenn man Glück hat öffnen sie genau den richtigen Kanal, wenn man nicht sofort überladen wird und wieder dissoziiert.

Auf dem Weg nach Hause dämmerte es mir langsam. Oder besser gesagt kamen Erinnerungen, oder Intrusionen? Oder doch Flashbacks? Kann es noch nicht genau differenzieren.

Jedenfalls fügten sich für meinen Verstand viele Dinge zusammen. Ich war der festen Überzeugung, mein Trauma (zumindest eins davon) wäre kaum noch ein Thema, schließlich habe ich nur Angst vor Retraumatisierung.

Aber das nur ein Anzeichen von irgendwelchen Gefühlen gegenüber einer Person Träume auslösen können, in denen ich wieder sexuellen Missbrauch erleben muss, zeigt mir klar und deutlich, dass mein Trauma nicht ansatzweise verschwunden/verarbeitet worden ist.

Warum ich in solchen Ausnahmezuständen, in denen mir alles zu viel wird, weil Gefühle extrem überfordernd sind und ich in eine Ohnmacht verfalle, weil ich keine Ahnung habe was ich tun kann, eine Dissoziation hervorgerufen wird ist mir rückblickend jetzt relativ klar.

Als ich in der Situation war, sprich als ich sexuell missbraucht worden bin musste ich mich entscheiden, auch wenn es merkwürdig klingen mag, aber ich entschied mich an einem gewissen Punkt aufzugeben.

Mir zu überlegen, weiter zu kämpfen und dementsprechend noch mehr Schmerzen aushalten zu müssen, wohlwissend, der Situation nicht entfliehen zu können, oder aufzugeben und Schmerzen abwenden und es so schnell wie möglich beenden lassen. Hört sich für den ein oder anderen möglicherweise mehr als fragwürdig an, allerdings änderte sich am Endresultat nichts. Die Tat war die selbe, das Trauma auch.

Also gab ich auf. Lies über mich ergehen, als passiert war was passiert ist, zog ich mich an, lief zum Bahnsteig und fuhr 1,5 Stunden mit den öffentlichen nach Hause. Am nächsten Tag ging ich zur Arbeit, als wäre nie etwas gewesen.

Rückblickend weiß ich, das war wohl der erste Moment, indem sich meine Emotionen abspalten mussten, diese ganzen Gefühle wären hinderlich gewesen aus dieser Situation zu entkommen. Also fühlte ich nichts mehr. Ich tat was getan werden musste um nach Hause zu kommen, ich nahm die Straßenbahn und dann den Zug. Gefühle hätten mich nur aufgehalten.

Ich weiß nicht wieso meine Psyche den Unterschied nicht filtern kann. Damals ist es irgendwo klar, dass es sinnvoll war, dass sich etwas abgespalten hat. Aber im normalen Alltag?

Ich merke, dass mir noch sehr viel Wissen fehlt. Ich habe mein Trauma nie wirklich bewusst behandeln lassen. Auch wenn ich in Traumatherapie war. Ich habe non stop gekifft, wie soll man da Exposition machen? Die auch wirkt?

Ich habe meine Therapeutin in meinem letzten Gespräch gefragt, wieso meine PTBS auf „Zustand nach“ geändert wurde. Sie erzählte mir, dass es daran lag, dass ich im Intervall gesagt habe ich würde nicht mehr unter meinem Trauma leiden. Die Sache ist, bzw das abstruse ist, wie kann man einen traumatisierten Menschen der keinerlei Ahnung hat wie sich das Trauma auf ihn auswirkt beurteilen ob das Trauma noch Auswirkungen hat.

Anyways… Im Gespräch hat sich ergeben, dass es sinnvoll wäre für eine Krisenintervention nochmal auf Station zu kommen. Medikamente wieder ein dosieren und Gespräche, Stresstoleranz und Skills auffrischen. Es ist tatsächlich eine gute Entscheidung, ich meine, ich sitze zuhause rum und stopfe mich wieder mit Essen voll, fühle mich wegen Allem und Jedem angegriffen und meine irrationalen psychotischen Gedanken die an manchen Momenten kaum noch auszuhalten sind und Ängste auslösen die ich kaum aushalten kann, sollten in einem geschützten Rahmen beobachtet und abgewendet werden.

 

Ich versuche mir nicht den Mut nehmen zu lassen

und versuche nicht meine Gedanken,

dass ich meinen Plan nicht mehr antreten kann

und alles wieder aufgeben muss, gewinnen zu lassen.

Autor*in: Blue

Das wird ein Kampf, ein Kampf um meine Gesundheit, ein Kampf um eine glückliche Zukunft und ein zufriedenes Leben. Diesen Kampf kämpfe ich gerne... zumindest die meiste Zeit.

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