Mandy als Jurorin

Ende Februar: Heute steht die Jurorenschulung für einen Debattierwettbewerb bevor. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich überhaupt dorthin gehen oder besser absagen soll. Als Juror hat man nämlich auch die Aufgabe einem der Debattierenden eine kurze Rückmeldung zu geben. Es sind zwar nur wenige Sätze, die man sagen muss – für meine Ängste ist das aber schon eine scheinbar niemals überwindbare Herausforderung. Ich entschließe mich dann doch dazu, hinzugehen und dem ganzen eine Chance zu geben. Am Ende der Schulung stellen vier Teilnehmende eine Debatte nach und wir müssen das Bewerten und die Rückmeldung üben. Das bedeutet: vor der ganzen Gruppe sprechen. Als meine Gruppe dran ist schaffe ich es irgendwie schnell meinen Text zu sagen, um mich möglichst schnell wieder zurück auf meinen Platz setzen zu können. Mein Gedanke am Ende: »Ich würde es gerne schaffen, bei einer Debatte als Jurorin tätig zu sein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich es schaffen werde. Bis zum Sommer ist ja noch ein bisschen Zeit. Bis dahin haben die Ängste hoffentlich ein bisschen abgenommen…«

Mitte April: Vor ein paar Tagen habe ich eine E-Mail in meinem Postfach gelesen – es wird noch ein Jurymitglied für ein Verbundfinale gesucht. Nach viel hin und her überlegen sage ich zu und nun stehe ich hier mit wackligen Knien vor dem Deutschraum und warte darauf, dass die Veranstaltung beginnt. Ich muss zugeben, es ist eine sehr spannende Erfahrung so eine Debatte zu jurieren und ich bin froh, diese Erfahrung machen zu dürfen. Wenn da nur bloß nicht diese Rückmeldungen wären… Da es zwei Debatten gibt, muss ich auch zwei Rückmeldungen geben. Zum Glück stehen wir am Rand und nicht vorne und ich habe die Wand hinter mir, die mir ein bisschen Sicherheit gibt. Mit zitternder Stimme gebe ich meine Rückmeldung und komme mir ziemlich blöd vor, als ich sagen muss: »Unser Tipp an dich wäre, dass du dich beim nächsten mal noch selbstbewusster in die Debatte einbringst«, während ich mit jedem Wort kämpfe. Mein Gedanke am Ende: »Noch einmal werde ich das nicht machen. Das schaffe ich nicht.«

Vor zwei Wochen: Ich sehe eine E-Mail in meinem Postfach. Die Besetzung für das Landesfinale. Und meinen Namen unter den Juroren. Ein großer Kampf bricht in mir aus: Ich möchte es so gerne schaffen. Ich habe Angst es nicht zu schaffen. Ich möchte die Ängste nicht gewinnen lassen. Alle anderen schaffen es auch – schon wieder eine Aufgabe, der ich durch die Ängste nicht gerecht werden kann. Gleichzeitig ist mein Wille, es doch zu schaffen, aber auch so groß. Doch mit meinem Gewissen kann ich es nicht vereinbaren – es ist besser eine selbstbewusstere und kompetentere Person zu nehmen. Das schreibe ich auch der zuständigen Kollegin und habe große Angst vor ihrer Reaktion.

Ein paar Tage später: Meine Angst in Bezug auf die Reaktion der Kollegin waren völlig umsonst. Sie ist sehr lieb und verständnisvoll und ermutigt mich sehr, mich für meinen Willen und gegen die Ängste zu entscheiden. Sie nimmt sich sogar die Zeit, um die Situation einmal mit mir zu üben, damit ich ein bisschen mehr Sicherheit habe.

Gestern: Das Landeshalbfinale findet heute statt und meine Aufgabe ist es zum Glück nur ein paar Fotos zu machen. Während ich in dem Veranstaltungsraum mit den vielen Menschen stehe, merke ich, wie sich allein dadurch schon starke Angstgefühle in mir ausbreiten. Mein Gedanke am Ende: »Oh je, wie soll ich das morgen bloß überleben?! Wie konnte ich bloß denken, dass mein Wille stärker sein kann als die Angst?!«

Heute: Ein so starkes Gefühl von Aufregung gemischt mit Angst habe ich schon lange nicht mehr gespürt. Meine Beine sind wacklig, ich habe Bauchweh, mir ist mal heiß, mal kalt, ich schwitze, vergesse regelmäßig zu atmen und habe das Gefühl, dass ich den Tag nicht überleben werde, weil mein Herz sicherlich vor Angst irgendwann einfach aufhört zu schlagen. Vor Ort wird es ein wenig besser. Der Smalltalk mit einem anderen Juror lenkt mich etwas ab und mein Körper entspannt sich wieder ein bisschen. Erst während der Juryberatung werde ich nach und nach wieder nervöser. Die Zeit rennt und die Zeit, um die Rückmeldungen vorzubereiten wird immer weniger. Als wir uns vorne an die Mikrofone stellen, ist die Angst mit all ihren Kräften wieder da. Ich habe das Gefühl, jeden Moment umzukippen, was meine Ängste noch mehr verstärkt. Als viertes bekomme ich das Mikrofon in die Hand. Meine Beine zittern, meine Stimme zittert und ich bin froh, als ich das Mikrofon weitergeben kann. (Und noch mehr, als wir von dort vorne wieder verschwinden dürfen.)

Meine Gedanken jetzt am Ende: Ich hätte niemals gedacht, dass ich das schaffen werde. Ich versuche, nicht auf die Gedanken zu hören, die mir sagen „Jeder konnte mir die Angst ansehen. Jeder denkt jetzt schlecht über mich“, sondern mich zu freuen, dass ich auf beiden Beinen stehen geblieben bin, meine Sätze gesagt habe und mich meiner riesig großen Angst gestellt habe.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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