Der Kalender zeigt wieder den 14. Januar. Nun ist es also schon zwei Jahre her, seit mein Papa nicht mehr aufgewacht ist. Vor einem Jahr habe ich hier auf dem Blog über den damaligen Tag geschrieben und wie unwirklich es sich angefühlt hat, obwohl schon ein Jahr vergangen war. Von den vielen verschiedenen Gefühlen, die in mir herrschten: „Trauer. Schuld. Ärger. Sorge. Enttäuschung. Hilflosigkeit“ und der großen Frage: „Darf ich überhaupt traurig sein, wenn so viele Schuldgefühle in mir sind?“ Heute, ein weiteres Jahr später, sind noch die selben Gefühle und Fragen in mir.

Ist das Datum nicht bloß eine Zahl?

In den letzten Wochen habe ich mir sehr viele Gedanken über den heutigen Tag gemacht. Wie wappne ich mich am besten vor den vielen, belastenden Gefühlen und Erinnerungen? Wie schaffe ich es möglichst gut damit umzugehen? Und wieso ist dieser eine Tag so viel schwieriger als alle anderen Tage im Jahr? Es kommt mir ein bisschen absurd vor, schließlich ist es heute schon länger her als noch vor einer Woche. Aber wahrscheinlich ist es ganz natürlich, dass wir Ereignisse stark mit dem jeweiligen Datum verknüpfen und die Erinnerungen an diesen Tagen präsenter sind.

Wie habe ich mich nun gewappnet?

Mein Plan war, möglichst viele Termine zu haben, um möglichst wenig Zeit alleine in meinem Zimmer zu verbringen. So wäre ich hoffentlich abgelenkt und hätte nicht so viel Zeit, um in den Gefühlen zu versinken. Ich würde morgens zur Arbeit gehen, danach zu einigen Vorlesungen in der Uni und am Abend noch an einer Videokonferenz teilnehmen. Das habe ich auch alles gemacht, aber wirklich fliehen kann man vor seinen Emotionen leider nicht.

Ist der Tag nun überstanden?

Schon seit gestern habe ich gespürt, dass sich meine innere Anspannung anders anfühlt als sonst. Noch stärker irgendwie. Mein Bauch ist zusammengezogen und schmerzt verkrampft. Große Schwere auf der Brust und im ganzen Körper. Ich wäre gerne im Bett liegengeblieben und hätte mich unter meiner Bettdecke versteckt. Mir fehlt die Kraft, in die Pedalen zu treten. Die Welt um mich herum wirkt so schnell und ich so langsam.

Es gab zwei kleine Glücksmomente heute, die mir geholfen haben, die positiven Gedanken nicht zu vergessen. Nach einem angenehmen Vorstellungsgespräch gestern konnte ich heute für einen neuen Nebenjob zusagen und hatte dadurch kurz das Gefühl, mein Leben irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Mittags erreichte mich dann noch ein liebes Päckchen von meiner ehemaligen Mitbewohnerin – mit Kuschelsocken, Tee und Schokolade – perfekt an diesem schweren Tag.

Am Nachmittag kippte meine Stimmung schlagartig. Eine soziale Situation in der Uni überforderte mich völlig und ich war von Angst gelähmt. Seitdem sind nur noch selbstzweifelnde Gedanken in meinem Kopf, die auch die oben genannten Gefühle bestärken: Trauer. Schuld. Ärger. Sorge. Enttäuschung. Hilflosigkeit.

Hört es morgen wieder auf?

Die letzten Nächte waren anstrengend. Albträume, in denen mein Papa (erneut) stirbt. Oder in ganz schlimmen Träumen meine ganze Familie. Viele Tränen, die auch jetzt an meinen Wangen runter kullern. Vielleicht darf das so sein. Vielleicht ist es gut. Schließlich sollen Tränen ja auch beruhigen. Am schwierigsten auszuhalten sind die Schuldgefühle. Heute noch viel mehr als sonst. Werden sie wohl jemals weniger werden?

Nun ist der Tag nur noch eine Stunde lang. Eine Stunde, die es zu überstehen gilt. Aber wird es mir morgen wieder besser gehen? Ich denke nicht. Das braucht wahrscheinlich wieder ein bisschen Zeit. Ich werde mich nun unter meiner Bettdecke verkriechen. Mit meiner Winnie-Pooh-Wärmflasche, die schon seit meiner Kindheit meine Tränen auffängt.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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