TW: extremer (Selbst-)hass, suizdale Ansätze.
In diesem alten Text darf meine Depression erzählen, was sie so von mir hält, was immer extremer wird. Aber heute antworten ich ihr.
Ich setzte mich in die hinterste Reihe im Theater. Es ist schon dunkel im Zuschauerraum. Das Getuschel legt sich, während ich tiefer in den weichen Sessel rutsche. Jetzt fällt der Vorhang, aber es bleibt dunkel auf der Bühne. Jemand klopft an ein Mikrofon, seine gelben Augen schweben wie Glühwürmchen in der Leere. Sie finden mich und ich nicke.
Mein Gremlin, meine Depression beginnt zu sprechen:
„Du machst alles kaputt. – Dir gelingt doch eh nix. – Du bist ein kleines Kind. – Du hast keine Kraft.
Du kannst das eh‘ nicht. Warum versuchst du es überhaupt?
Was hältst du eigentlich von dir…ach Moment… stimmt ja du bist ein eingebildetes Stück. Ein Stück Scheiße, das nicht die kleinste Kleinigkeit schafft.
Du bildest dir nur ein, dass die Leute dich mögen. Dabei vertreibst du alle nur, bist unfreundlich, zu anstrengend und überhaupt redest du zu viel. Nimmst den Leuten das Wort, drückst ihnen Hilfe auf, weil du es ja besser weist. Komm mal runter von deinem hohen Ross.
Ein Eis genießen? Das hast du gar nicht verdient. Du hast keine Ahnung wie schwer es andere haben, aber stellst dich an.
Du rennst immer gegen die Wand – merkst du nicht, dass du’s auch gleich lassen kannst?
Warum kommst du nicht mal von der Couch hoch? Du vergisst alles und bist verantwortungslos. Warum hast du eigentlich noch keinen Vormund? Du bist eine Gefahr für alle anderen, wegen dir geht es allen um dich rum schlecht. Perfekt bist du nicht – hast nicht mal ’nen Funken Gutes in dir; bist ganz weit weg davon. Die Anderen schaffen es doch auch – warum du nicht? – arbeitest viel für nichts. Deine Ergebnisse sind nichts wert. Soll ich jetzt klatschen, weil du Nudeln gemacht hast? Sicher nicht.
Verhunger; Du hättest es verdient und niemand‘ würd’s stören.“
Damals bin ich in meinem inneren Theater mit einem Klos im Hals aufgestanden und mit einem Klotz am Bein weggehumpelt. Meine Depression lachte mich dabei aus.
Heute ist das anders! Ich habe immer noch einen Klos im Hals, aber die Worte vereinnahmen mich nicht mehr so sehr und ich gehe nicht mehr völlig kraftlos durch den Tag. Mir ist klarer, dass das nicht wahr ist und nicht meine Gedanken sind. Dabei hat mir das Erstellen dieses Textes geholfen. Der letzte Satz – ist das extremste an Depressionsgedanken, was ich hatte. Es zeigt, was für eine ernst zu nehmende Krankheit das ist. Ich habe im übrigen niemals danach gehandelt. Diesen Gedanken zu begegnen ist ein langer Weg, unterstützt durch Therapie, und es braucht immer noch Übung. Aber heute will ich nicht mehr, dass diese Gedanken mich verletzten.
Heute will ich antworten:
Ich mache das Licht im Theatersaal an und stehe auf. Auf der Bühne schwebt eine kleine graue Wolke und ihr Lachen wird zu einem traurigen Weinen. Langsam stehe ich auf und gehe auf sie zu:
„Du weißt, dass das nicht stimmt. Du siehst es daran, wie andere mich behandeln und was sie mir sagen. Jeder hat verdient ein Eis zu genießen, also auch ich. Ich bin stolz auf mich Nudeln zu kochen, wenn es viel Kraft gekostet hat – so wie ich auf ein kleines Kind stolz wäre, dass es gerade lernt.
Du bist eigentlich ein kleines Kind mit ganz viel Angst. Du hast Angst, dass du allein bist, dass andere gemein zu dir sind. Du willst ihnen zuvor kommen. Ich versteh dich. Aber ich weiß, dass sich selbst hassen, weil andere das ja könnten, alles nur schwerer macht, statt leichter. Du magst mich eigentlich, du willst mich beschützten. Ich kann mich selbst beschützen. Aber in dem ich mich stärke und nicht schon selbst sabotiere. Ich mag mich nämlich und ich bin gut genug.“
Jetzt stehe ich vor meinem Gremlin, meiner kleinen schwarzen Wolke. Ich versuche sie in den Arm zu nehmen und bemerke, dass ich mich selbst umarme.
Autor*in: Buchstabenspielerin
Mein Ventil ist das Buchstabenspiel. --- Wenn du Rechtschreibfehler findest, darfst du sie behalten ;). Ich konnte sie leider aufgrund meiner Legasthenie nicht alle einfangen. Was das ist? Informier dich! Mehr dazu in meinem Profil und in meinen Blogeinträgen.
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Wow, liebe Buchstabenspielerin! Ich habe beim Lesen deines Beitrags Gänsehaut bekommen und bin so beeindruckt und berührt. Und ich kenne das nur zu gut, was du da beschreibst. Besonders freue ich mich darüber, wie liebevoll du deiner kleinen „schwarzen Wolke“, diesem Anteil von dir, am Schluss begegnen kannst. Das ist sooo schön! Ich merke auch, dass ich bezüglich einer liebevolleren Haltung mir gegenüber schon große Fortschritte gemacht habe. Trotzdem bin ich noch oft hart und kritisch mit mir, aber ich schenke mir dabei nicht mehr immer Glauben bzw. versuche dem mit mehr Selbstmitgefühl und Fürsorge zu begegnen. Danke für deinen bewegenden und ehrlichen Beitrag!!! Sei herzlich gegrüßt, deine HighHopesInBlueSkys
Guten Morgen zusammen. Bin neu hier :-), seid geduldig mit mir…
Schließe mich den Worten von HighHopesInBlueSkys an- mit einer kleinen Ergänzung: Für mich gelingt mir Selbstfürsorge besser, wenn ich in Bildern denke… frei nach der Buchidee „Mein schwarzer Hund“ von Matthew Johnstone.
…Wenn ich zurückschaue, geisterte mein schwarzer Hund schon ziemlich lange durchs Leben, seit ich Anfang 20 war. Wann immer er sich blicken ließ, fühlte ich mich leer.
Der schwarze Hunde konnte mich aus heiterem Himmel heimsuchen, scheinbar ohne jeden Grund.
Er schaffte es, dass ich mich älter fühlte und älter ausah, als ich in Wirklichkeit war.
Während alle anderen das Leben zu genießen schienen, sah ich es durch die schwarze Hundebrille…
Hallo Buchstabenspielerin,
ich bin ganz überwältigt. Ich danke dir für deine Offenheit und in deinem bildnerischen Schreibstil. Einige Worte und Sätze haben mir die Sicht benebelt. Mein Körper wollte mich sicher schützen. Aber ich hab den Beitrag bis zum Ende gelesen und konnte mich ziemlich gut wiede finden. Viele Worte und Wortgruppen sind mir bekannt.
Auch sowas wie: ‚selbst zum scheißen ‚bin ich‘ zu blöde‘‘. Und ich konnte wohl nicht mal die Harke richtig benutzen.
Letztens im Familiengespräch kam raus, dass ich sowohl dich richtige Technik beherrschte.
Ich hatte lange lange das Gefühl, ich hätte bestimmte Sachen nicht verdient. Dabei geht es nicht darum, was zu verdienen.
Hat nicht jeder Mensch Recht auf das Gleiche. Sprich: ein Recht auf Liebe. Zuneigung. Berührung. Wasser. Nahrung. Ggf. Wärme….
Ich habe meine Gefühle und schweren Phasen oft künstlerisch dargestellt. Oder per Schreiben (mit der Hand). Da der Kopf sich überschlug, fehlten auch mal Buchstaben oder Sätze ließ ich unvollendet stehen.
Positiv dabei: es entstehen ‚neue‘ Wörter. Oder Wörter bekommen einen anderen Sinn. GENAU wie es dein Name sagt: BuchstabenSpielerin 🙂
Liebe Grüße