Psychische Erkrankungen und Sätze von Menschen

Psychische Erkrankungen haben in unserer Gesellschaft nicht den gleichen Stellenwert, den körperliche Erkrankungen haben. Es gibt deutlich weniger Informationen über sie und damit auch weniger Verständnis in der Bevölkerung. Ich bin in meinem Leben bisher vielen Menschen begegnet, die psychische Erkrankungen für eine Lappalie halten, aber auch vielen (zum Glück die Mehrheit), die eine psychische Erkrankung ernst nehmen und Verständnis zeigen. Ich möchte hier gerne meine Erlebnisse teilen, wie unterschiedlich Menschen auf meine generalisierte Angststörung reagiert haben und was das mit mir gemacht hat.

Meiner Erfahrung nach gibt es in diesem Punkt drei verschiedene Gruppen von Menschen: diejenigen, die eine psychische Erkrankung (im Folgenden auch kurz „Psyche“ genannt) voll nachvollziehen können (1); diejenigen, die bisher nicht viel über die Psyche wissen, die aber nach ein paar Erläuterungen dazu Verständnis und Feinfühligkeit zeigen (2) und diejenigen, die mit Psyche überhaupt nichts am Hut und auch kein Interesse haben (3).

Dankbar für Gleichgesinnte

Gruppe (1) ist für Menschen mit psychischen Erkrankungen am dankbarsten. Sie verstehen die Probleme, Gedanken und Gefühle sehr gut, ohne, dass es eine ausgiebige Erklärung braucht. Entweder, weil sie selbst betroffen sind, oder weil sie viel Kontakt mit Betroffenen haben. Gerade in schwierigen Phasen einer Erkrankung ist es Gold wert, sich nicht erst erklären zu müssen. Denn das kostet sehr viel Kraft. Für Menschen aus Gruppe (1) bin ich in meinem Leben sehr dankbar. Es gibt genug Momente, in denen ich an meinen Gedanken und Gefühlen zweifele und mich für verrückt/schwach/dumm halte. Wenn dann Menschen da sind, die mich verstehen und mir immer wieder erklären, dass alles gut und normal ist, tut das einfach gut und baut mich auf.

Verständnis durch Zuhören

Menschen aus Gruppe (2) haben zunächst mal keine oder sehr wenige Berührungspunkte mit psychischen Erkrankungen in ihrem Leben gemacht. Dementsprechend verstehen sie oft zu Beginn nicht, was eigentlich los ist. Zum Beispiel, dass ein an sich banales Ereignis einen total aus der Bahn werfen kann, weil es das Fass zum überlaufen gebracht hat. Oder, dass man auf die Frage „Was genau ist los/ beschäftigt dich so sehr?“ manchmal selbst keine Antwort hat. Allerdings kann man mit Menschen aus Gruppe (2) sehr gut reden. Sie hören zu, wenn man Sachverhalte erklärt. Sie stellen Rückfragen, wenn sie etwas nicht verstehen oder fangen an, sich mehr damit zu beschäftigen. Auch für diese Menschen bin dankbar. Denn durch ihr Interesse zeigen sie mir, wie wichtig ich ihnen bin. Es tut gut zu sehen, dass man nicht einfach als verrückt abgestempelt wird, sondern verstanden wird, dass eine Krankheit dahinter steckt. Menschen aus Gruppe (2) zeigen einem Respekt, auch wenn sie die Krankheit oder die Symptome nicht zu hundert Prozent nachvollziehen können. Mich baut das meist sehr auf. Außerdem lerne ich mich selbst und meine Psyche durch die Erklärungen anderen gegenüber besser kennen.

Unbelehrbare

Kommen wir zur undankbarsten Gruppe (3). Leider bin ich Menschen, die psychische Probleme weder verstehen, noch Interesse daran haben, sie verstehen zu wollen, in meinem Leben immer mal wieder begegnet. Unglücklicherweise war ich manchen von ihnen hierarchisch untergeordnet, was meine Verunsicherung nur schlimmer gemacht hat. Eine prägende Erfahrung war unmittelbar nach meinem sechswöchigen Klinikaufenthalt. Als ich mit zittrigen Knien und ständiger Angst vor neuen Panikattacken wieder auf der Arbeit erschien, bekam ich als Erstes die Frage „Na, geht’s wieder?“ gestellt. Spätestens in dem Moment wusste ich: Weitere Erklärungen haben keinen Sinn. Es ist eben kein Beinbruch, bei dem man irgendwann sagen kann: Jetzt ist er wieder heil.
Was jedoch noch verheerender war, war die Aussage eines Arztes. Als ich vor ihm saß, weil ich einfach nicht mehr konnte, dauerhaft mit den Nerven am Ende war und mich auf ein erschreckend niedriges Gewicht runtergehungert hatte, musste ich mir sinngemäß anhören: Gehen Sie nach Hause, essen Sie etwas und machen Sie sich nicht kränker als Sie sind.
Der Vollständigkeit halber muss ich sagen, dass er mir trotzdem weitergeholfen und mich zu einem Psychiater überwiesen hat, dennoch saß der Satz erst einmal. Und er ist bis heute in meinem Kopf geblieben. Mein Glück war, dass ich schon jahrelange Erfahrungen mit meiner Psyche hatte und wusste, dass ich mich nicht kränker machte. Hätte ich aber zum ersten Mal diese Symptome gehabt und diese Aussage vom Arzt gehört, wäre das vermutlich fatal gewesen.
Mein Appell daher an alle: Zeigt Rücksicht auf das Verhalten von Menschen mit psychischen Erkrankungen, fragt nach, redet, hört zu. Ihr müsst die Krankheit nicht komplett verstehen oder nachvollziehen, aber sie zumindest so akzeptieren, wie sie ist. Dass ihr hier seid und euch die Beiträge auf der Seite durchliest, zeigt schon, dass ihr definitiv nicht zu Gruppe (3) gehört. Dafür schon mal ein Dankeschön!

Autor*in: kopfstark

Seit ich denken kann begleitet mich die Angst. Nicht so, wie sie jeden Menschen begleitet, sondern ständig und in den meisten Fällen unbegründet (objektiv betrachtet). Seit ich ein kleines Mädchen bin, habe ich Therapieerfahrung gesammelt und durch ständiges An-Mir-Selbst-Arbeiten viel über mich, das Leben und die Psyche gelernt. Hier möchte ich gerne etwas davon teilen.

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