Gerade als junger Mensch ist es schwierig in einer akuten Lebenskrise zu sein, wenn man sich gerade im letzten Schuljahr befinden. Generell war ich zu der Zeit sehr unsicher, hatte ein sehr geringes Selbstbewusstsein und schwankte sehr zwischen diversen sozialen und medizinischen Berufen hin und her. Ebenso stellte sich mir die Frage, ob ich noch mein Zentralabitur machen möchte oder mir Fachabitur genügt. Doch die Unzufriedenheit an der Schule nahm mir zumindest diese Entscheidung ab.

Kurz vor meinem Fachabi switchte zu der Entscheidung eine Berufsausbildung zu machen und schaute mir zwei Wochen lang eine Gymnastikschule an. Ich war begeistert, sodass ich schließlich den Ausbildungsvertrag unterschrieb und zum kommenden Schuljahr dort meine Ausbildung begonnen habe. Was mich zu diesem Zeitpunkt ritt, weiß ich nicht. Denn ich hatte etwa 1,5 Jahre gar keinen Sport machen können und somit waren Kraft und Ausdauer bei mir Mangelware. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die 3 Jahre waren für mich sehr durchwachsen.
Aber ich denke, dass es erst einmal sinnvoll ist euch etwas über die Ausbildungsinhalte zu erklären. Schwerpunkt meiner Ausbildung waren Prävention und Rehabilitation sowie Tanz. Wir hatten neben verschiedenen Tanzfächern (Ballett, Modern, Kindertanz, Jazz, Afro…), Sportarten wie Pilates, Schwimmen, Leichtathletik, Tai Chi und Aerobic, sowie Fächer in denen Fortbewegungsmöglichkeiten, Kraft, Ausdauer, Koordination thematisiert wurden. Darüber hinaus hatten wir natürlich auch Anatomie, Medizin, krankengymnastische Techniken und ähnliches, was die Grundlage des Berufs bilden sollte, da man im Berufsleben oft mit diversen Problemchen konfrontiert wird und das Grundverständnis körperliche Funktionen unabdingbar ist.

Anfangs wurde von den Lehrern sehr auf die körperliche Gesundheit geachtet, sodass ich alles im Rahmen meiner Möglichkeiten mitmachte. Problem war bei mir vor allem die nur gering belastbare Bauchmuskulatur. Durch den Unterricht lernte ich schnell meine Grenzen kennen und konnte sie durchs Training immer weiter hinausschieben, sodass mein Bauch zunehmen belastbarer wurde. Allerdings wurde er immer noch nicht das non plus ultra. Einige Lehrer zeigten dafür leider keinerlei Verständnis. Von Monat zu Monat wurde ich an der Schule unzufriedener, aber was ich angefangen habe, bringe ich auch zu Ende. So habe ich mich durch die Ausbildung gequält, wurde teils schlecht benotet, weil ich einfach nicht 100% gesund bin oder ich auch mal krank war. Viele 5en und 6en wurden mir angedroht und vermutlich auch durchgesetzt. Meine Motivation sank, meine Laune verschlechterte sich, meine Arbeitseinstellung basierte auf „ist mir egal“. Ich erhielt im praktischen Unterricht keine Korrekturen mehr, im Theorieunterricht war ich unterfordert. Ich nahm während der Ausbildung – ich betone hier noch einmal, dass es eine Bewegungsausbildung ist – 15 Kg zu, da ich mir die Zeit mit sinnlosem Essen vertrieb, durch die gegen spazierte, Sudokus, Nonogramme und co. machte oder sogar auf dem Sofa Bücher las.
Das Thema Gesundheit wurde für mein Empfinden zunehmend kleiner, sodass ich mir durch eine Mischung aus Frust, Druck seitens der Schule und Hilflosigkeit einen Sportschaden am Knie zuzog, mit welchem ich mich durch die letzten Monate der Ausbildung quälte – und logischerweise wieder schlecht bewertet wurde, weil ich aufgrund von Schmerzen immer wieder im Unterricht aufhörte und keinerlei Spaß hatte. Ich war einfach froh, als ich nach 3 Jahren mein Examen in der Tasche hatte.

Im letzten Schuljahr machte ich mich dann selbstständig und arbeitete mit einem Psychotherapeuten zusammen. Ich hatte erste Berührungspunkte zum „echten Berufsleben“ und knallte in eine Welt auf die mich niemand vorbereitet hatte. Ich brauchte einige Monate, um sicher auftreten zu können, und nun – nach 1,5 Jahren Berufstätigkeit – komme ich langsam an. Trete sicher auf, bin souverän und schüttel oft ein kleines Ass aus dem Ärmel. Nach der Ausbildung wollte ich eine Festanstellung, sodass ich „übernommen“ wurde und nun eine Festanstellung beim Psychotherapeuten habe. Meine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Adipositas und Prävention. Ich schätze all meine Teilnehmer sehr und erfahre diese Wertschätzung auch von ihnen. In meinem Beruf spielt meine Krankheit keine große Rolle. Meine Teilnehmer wissen das meist nicht. Gerade im Sommer kommt es jedoch mal vor, dass Teilnehmer meinen Bauch sehen und natürlich nachfragen, wieso ich da Narben habe. In diesem Fall gehe ich mit meiner Krankheit sehr offen um, da ich es nicht als „schlimm“ ansehe. Ob mein Chef mittlerweile weiß, dass ich krank bin? Keine Ahnung. Ich hatte mal Andeutungen gemacht, aber Gott sei Dank wurde das für den Job bisher nicht relevant, da ich selten krank bin und soweit alles machen kann. Meine engen Kollegen wissen jedoch alle bescheid, da mein Bauch gerne den ganzen Raum unterhält. Dazu habe ich die Erfahrung gesammelt, dass es ganz sinnvoll sein kann, wenn die Kollegen bescheid wissen, da ich gelegentlich unter stärkeren Bauchkrämpfen leide und ich somit meinen Kollegen nicht alles von neu erklären muss, wenn mal etwas ist. Durch den letzten schlimmeren „Krampfanfall“ habe ich einer Kollegin auch einen gewaltigen Schrecken verpasst…

Nach der Ausbildung war mir klar, dass ich meine Gehirnzellen irgendwie noch benutzen möchte und ich definitiv studieren werde. Somit studiere ich nun im 2. Semester Soziale Arbeit/Sozialpädagogik. Was ich damit will? Keine Ahnung. Für mich erfüllt es vorerst nur den Zweck mich weiterzubilden. Weiterhin gibt mir dieses Studium die Option auch in nicht-bewegungsbezogenen Bereichen zu arbeiten, falls ich dazu irgendwann nicht mehr in der Lage sein sollte. Bisher bin ich mit diesem Studium sehr zufrieden, da ich dort endlich ernst genommen werde und es Beauftragte für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen gibt. Ich kann daher Nachteilsausgleiche geltend machen, welche mir das Leben vereinfachen. Durch die Bevorzugung bei der Seminarplatzvergabe, kann ich meine Woche und Arzttermine besser planen. Mindestens einen Vormittag halte ich mir somit für solche Belange frei.

Ich denke, dass die Herausforderung Studium + Beruf + eigene Finanzierung des Lebens + chronisch krank nicht gerade gering ist. Zeitmanagement ist das A und O. Mein Ziel wäre es in etwa 3,5 – 4,5 Jahren mein Studium zu schaffen. Falls es länger dauert, ist das auch vollkommen ok. Ich mache mir keinen Stress und werde ab dem kommenden Semester die Luft ein wenig rausnehmen, da es für mich ab dem 3. Semester um Noten geht.
Gerade da ich ein Workaholic bin, muss ich bewusst darauf achten, dass ich Ruhephasen habe, nicht ständig unter Menschen bin und auch die Zeit alleine genießen kann.

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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