Alle warten gerade sehnsüchtig darauf, dass endlich alles wieder ‚normal‘ wird. Ganz davon abgesehen, dass ‚normal‘ ein sehr relativer Begriff ist, fällt mir diese Rückkehr zur Normalität sehr schwer.

Am Anfang war die Situation mit der Pandemie sehr belastend für mich, aber dann habe ich die Umstände akzeptiert und habe das Beste daraus gemacht. Mein Handlungsspielraum war klein, aber ich habe ihn ausgeschöpft. Zum Teil ergaben sich nach einiger Zeit sogar Vorteile aus der Situation, weil ich viel engagierter war, was mein Studium angeht.

Seit dieser Woche habe ich nun meinen vollständigen Impfschutz und bin noch vollkommen überfordert mit den neuen Möglichkeiten. In letzter Zeit höre ich immer wieder:

„Jetzt, wo du geimpft bist, könntest du doch …

  • Statt immer bei REWE online zu bestellen in den Supermarkt um die Ecke gehen?“
  • Dich wieder mit Freundinnen treffen zum Filmabend?“
  • Shoppen gehen?“
  • Mit mir Urlaub machen?“

– Nein, das kann ich noch nicht, denn ich bin einfach noch nicht soweit.

Anderthalb Jahre habe ich jeden menschlichen Kontakt gemieden und hatte große Angst davor. Das kann ich leider noch nicht ganz ablegen. Ich zucke immer noch zurück, wenn jemand zu nah an mir vorbei geht und seit die Außengastronomie wieder geöffnet ist, ist die Innenstadt so voll, dass ich einen großen Bogen darum mache. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs von kleinen Angewohnheiten, die sich mit der Zeit eingeschlichen haben.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Angst belächelt wird, da ich ja schließlich ‚geschützt‘ bin, aber die kleinen Fortschritte, die ich seit der Impfung gemacht habe, sind einfach noch weit von dem entfernt, was andere schon seit Monaten tagtäglich tun. Ich gehe beispielsweise wieder draußen ohne Maske spazieren und mein Freund macht keine Quarantäne mehr, bevor wir uns treffen. Vor ein paar Wochen war ich sogar das erste Mal wieder beim Bäcker.

So nähere ich mich ganz langsam step-by-step der Normalität.

Autor*in: Alltagsheldin

Ich melde mich hier als Alltagsheldin stellvertretend für alle anderen Alltagshelden und Alltagsheldinnen zu Wort, die ebenfalls mit einer unsichtbaren chronischen Erkrankung leben.

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