Skills-Sammlung

Ich habe vom Begriff Skills zum ersten Mal im therapeutischen Kontext gehört. Dort habe ich sie im Zusammenhang mit der Anspannungskurve, Selbsteinschätzung, einer automatischen Stressreaktion, mit dysfunktionalem Verhalten und Selbstregulation kennengelernt. Für alle, für die diese Begriffe Neuland bedeuten, möchte ich kurz näher darauf eingehen. Anschließend möchte ich euch mithilfe eigener Beispiele das Packen eines „Notfallkoffers“, der aus einem Krisenplan und einer Skills-Sammlung besteht, vorstellen, damit ihr Ideen für die eigene Umsetzung sammeln könnt.

Die Stresskurve, unser Gehirn und Selbstregulation:

Spannungskurve

Wenn wir uns unsere Anspannung bzw. unseren Stresslevel als Kurve vorstellen, beginnt ab 40% erst eine gewisse Wachsamkeit. Diese ist noch total gesund und normal. Solange wir uns in einem moderaten Anspannungsbereich befinden, ist unser Frontalhin aktiv, unser Neokortex, der Teil im Gehirn, der abwägt, ob etwas sinnvoll ist, der lösungsorientiert ist und der für eine sinnvolle Handlungsplanung zuständig ist.

Erst wenn unsere Anspannung auf über 60% steigt, wird es langsam kritisch. Bei 70-80% setzt dann eine automatische Stressreaktion ein, das heißt wir reagieren blitzschnell ohne nachzudenken. Dann übernimmt der Teil im Gehirn, der Amygdala genannt wird – umgangssprachlich auch als Reptiliengehirn bezeichnet, da dieser Teil für die Impulssteuerung verantwortlich ist und instinktiv und automatisch handelt.

Wenn wir impulsgesteuert handeln, reagieren wir mit einem von drei Reaktionsmustern, die im Stress typisch sind: mit Kampf, mit Flucht oder mit Erstarren. Diese drei Reaktionsweisen sind genetisch verankert und waren früher in Gefahrensituationen sehr nützlich. Da machte es durchaus Sinn, wenn ein Mensch vor einem gefährlichen Raubtier stand, dass er nicht mehr lange darüber nachdachte, wie er nun am besten reagieren soll, sondern sich wehrte, flüchtete oder sich im Notfall regungslos totstellte.

Heutzutage befinden wir uns selten in solchen Gefahrensituationen, dennoch reagiert unser Gehirn auf Hochstresssituationen, also belastende Situationen, nach wie vor mit diesen drei Mustern. Ich glaube es kennt jede und jeder von sich, dass es im Streit mal passieren kann plötzlich zu „explodieren“, also laut zu werden und eventuell sogar total übertrieben und unangemessen zu reagieren. Oder es reicht uns und wir verlassen türenknallend den Raum, flüchten also aus der Situation. Oder wir stehen unserem Chef gegenüber und reagieren auf dessen Kommentar sprachlos, also mit einem Blackout. Das kann genauso in einer Prüfungssituation passieren. Soweit zu automatischen und unreflektierten Reaktionen im Stress.

Dysfunktionale Verhaltensweisen:

Jeder Mensch reagiert im Stress unterschiedlich. Wenn die Anspannung zu groß wird, kann es besonders im Zusammenhang mit psychischen Belastungssituationen zu dysfunktionalen Verhaltensweisen kommen, also zu im Endeffekt selbstschädigenden Verhaltensweisen. Dazu zählt beispielsweise selbstverletzendes Verhalten wie Ritzen, aber auch Alkoholkonsum zum Spannungsabbau und zur Entspannung oder übermäßige Sportausübung.

Skills als Fertigkeiten zur „gesunden“ Selbstregulation:

Deswegen ist es sehr wichtig, regelmäßig achtsam hinzuspüren, wie es uns gerade geht und wo wir uns auf der Spannungskurve befinden, damit wir einer automatischen Stressreaktion oder dysfunktionalem Verhalten vorbeugen können.

Hier kommen Skills ins Spiel. Skills sind Fertigkeiten, die uns helfen auf gesunde und angemessene Weise unser Anspannungs- bzw. Stresslevel zu regulieren. Jeder Mensch setzt teilweise auch unbewusst und automatisch Skills ein: Beispielsweise wenn wir zu was Süßem oder zu einem Heißgetränk greifen, wenn es gerade schwierig oder stressig ist, wenn wir zum Ausgleich zum Spazieren oder zum Joggen gehen, wenn wir uns ausnahmsweise nach einem anstrengenden Tag „was gönnen“ – z.B. Shoppen gehen, oder gut für uns sorgen, indem wir uns mit Wärmflasche bei Kerzenlicht und mit Duftöl ins Bett kuscheln oder ein heißes Bad nehmen, etc.

Wir können Skills aber auch bewusst einsetzen, wenn wir merken, dass die Anspannung zu hoch ist. Da besonders in Stresssituationen eine Lösungsorientierung schwierig ist, also sich daran zu erinnern, was schon mal geholfen hat bzw. was helfen könnte, macht es Sinn, sich dies in Form eines „Notfallkoffers“ festzuhalten. Dies kann schriftlich reichen, um einem in der jeweiligen Situation auf die Sprünge zu helfen und einen handlungsfähig zu machen. Man kann sich aber durchaus auch einen Notfallkoffer in gegenständlicher Form packen, beispielsweise ein kleines Täschchen, das man immer mitführt oder in der Nähe hat. So etwas habe auch ich mir im Rahmen meiner Therapie selbstständig eingerichtet, um bei Bedarf schnell Zugriff auf ein zuträgliches Handlungsrepertoire zu haben. Ich möchte euch sowohl von meiner Skills-Liste, als auch von meinem Notfallkoffer erzählen, um euch Ideenansätze für ein eigenes Ausstatten zu schenken.

Krisenplan bzw. Skillsliste:

Zuerst zu meinem Krisenplan bzw. meiner Skillsliste:
Ich habe meine Skills situationsbezogen nach Notwendigkeit unterteilt, um für die jeweilige Situation gleich eine passende Umgangsform parat zu haben: Notfalls-Skills als Gegenreiz, Eindämmungs-Skills, Beruhigungs- und Selbstfürsorge-Skills und soziale Kontakte als Skills.

Notfall-Skills als Gegenreiz:

Manchmal ist die Anspannung bereits sehr hoch, sodass man schon beinahe in den „Tunnelblick“ der automatischen Reaktion gerät. Hier kann es helfen, zuerst einen Gegenreiz zu setzen, um die Anspannung so weit herunterzuregulieren, dass wieder Handlungsoptionen entstehen. Diese Skills zählen für mich zu den Notfall-Skills. Dazu zählen beispielsweise saure Bonbons, scharfe Gummibärchen, Japanisches Heilpflanzenöl heiß übergossen, Duftskills wie ätherische Öle oder Ammoniak, eiskaltes Wasser über den Puls an den Handgelenken rinnen lassen (oder Eiswürfel/kalte Dusche) oder die 5-4-3-2-1-Methode, bei der es darum geht, durch das Nutzen der Sinne wieder ganz ins Hier und Jetzt zu kommen.

Eindämmungs-Skills:

Als Eindämmungs-Skills eignen sich zum Beispiel Entspannungsverfahren wie Yoga oder die Progressive Muskelrelaxation, eigens zusammengestellte Musik-Playlists, ein „Hausputz“, ein Sonnenbad an der frischen Luft oder vor der Tageslichtlampe oder Spaziergänge. Auch auf Spaziergängen können die Sinne genutzt werden, beispielsweise beim Zählen der Autos einer Marke auf einem Parkplatz, beim bewussten Konzentrieren auf das Hören, das Sehen oder das Fühlen.

Beruhigungs- und Selbstfürsorge-Skills:

Weiters kann es beruhigend und stresslindernd wirken, hineinzuspüren, was gerade für ein Bedürfnis da ist und dementsprechend gut für sich zu sorgen. Vielleicht braucht es ein heißes Bad, eine Wärmflasche oder Heißgetränk für ein Geborgenheitsgefühl, das Nachgehen eines Hobbies, oder das Niederschreiben von Gedanken und Gefühlen, um diese zu sortieren, mehr Klarheit zu erlangen oder sie ein Stück weit abzulegen und loszuwerden – zumindest für den Moment.

Soziale Kontakte als Skills:

Auch Kontakt zu anderen Menschen kann sehr beruhigend wirken. Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen und beziehungsorientiert. Ein Gefühl von in Beziehung sein, zu sich selbst und zu anderen, gibt Sicherheit, Geborgenheit und reguliert das Stresslevel schnell hinunter. Hierzu zählen beispielsweise ein kurzes Telefonat mit dem Lieblingsmenschen, kuscheln mit dem Partner, der Partnerin, dem Haustier oder dem Lieblingskuscheltier (ja, auch Erwachsene dürfen eines haben), das Besuchen einer Selbsthilfegruppe, etwas für jemanden anderen tun oder auch Gebete. Ich würde euch empfehlen euch die wichtigsten Nummern in euern Notfallkoffer zu packen: Familienmitglieder, Freunde, TherapeutIn, die Nummer der Telefonseelsorge, des Sozialpsychiatrischen Dienstes oder von Krisenberatungsstellen in der Nähe sowie für den Notfall die Nummer des ärztlichen Bereitschafsdienstes oder Notrufnummern.

Die eigene Skills-Sammlung als Box oder Täschchen:

Damit Skills wirksam sein können, ist es wichtig, auf die Selbstregulationsmöglichkeiten auch wirklich schnell zurückgreifen zu können, also was benötigt wird in der Nähe zu haben.
Ich habe mir beispielsweise eine Skills-Box für zuhause und ein winziges Skills-Täschchen für unterwegs zusammengestellt. Zuhause warten auf mich eine Zusammenstellung netter und ermutigender Nachrichten von Freunden, die ich mir in ein kleines Büchlein geklebt habe, das Japanische Heilpflanzenöl, verschiedene Düftöle, Brausepulver und Beruhigungstropfen aus Baldrian und ein Kuscheltier. In meinem Täschchen für unterwegs befinden sich ein Stressball zum Kneten, zwei kleine stachelige Igelbälle zum Drücken als Gegenreiz, ein kleines Böxchen mit Chiligummibärchen, zwei, drei saure Bonbons, Center Shocker Kaugummis, Ankergegenstände, die mich an meine Therapieerfolge und förderlichen Beziehungen erinnern, ein Wattepad mit Duftöl darauf als Riechskill (ich nutze gerne Tonka, da dies angstlösend und beruhigend sein soll), ein Bedarfsmedikament, Rescue Tropfen Bachblüten, eine kleine selbst gefertigte Visitenkarte, auf der einige meiner Stärken festgehalten sind und meine Notfallliste.

Wer näheres Interesse hat kann sich im Internet weiter informieren, hier gibt es zahlreiche Listen mit Skills und auch Shops, die scharfe und saure Bonbons, etc. verkaufen. Ich wünsche euch viel Erfolg beim Zusammenstellen eures eigenen „Notfallkoffers“. Wenn es noch Fragen gibt, oder ihr eigene Erfahrungen und Tipps habt, schreibt gerne. Ich freue mich über Rückmeldungen.

Autor*in: HighHopesInBlueSkys

Einen blauen Himmel voller Hoffnung – das ist das, was ich mir wünsche. Tatsächlich ist mein Himmel schon lange ziemlich wolkenbehangen. Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung und resultierende Ängste und Sorgen verschleiern teils das lebensfrohe Blau. Doch in meinem Herzen bin ich eine Kämpferin. Ich glaube fest daran, dass hinter jedem großen Leid auch eine Chance steckt: eine Chance sich besser kennenzulernen, besser für sich sorgen zu lernen, die Qualitäten des Lebens neu schätzen zu lernen, Achtsamkeit zu üben, manches loszulassen und Neues für sich zu gewinnen. Diesen Weg will ich voller Mut und Hoffnung gehen, auf zu einem blaueren und sonnigeren Himmel, auch wenn es oft schwer fällt. Und das ist es auch, was ich von Herzen all jenen wünsche, denen es ähnlich geht: den eigenen, ganz individuellen und wertvollen Weg zu einem blaueren Himmel zu finden.

in Zusammenarbeit mit:

Logo Schon mal an Selbsthilfegruppen gedacht?