Der Begriff „Selbsthilfe“ klingt – unabhängig von dem schalen Beigeschmack, der ihm durch die Medien anhaftet – erst einmal positiv. Es wird ausgedrückt, dass man sich selbst hilft. Ich finde es vor dem Hintergrund meiner eigenen gesundheitlichen Einschränkung sehr wichtig, Dinge selbst tun und regeln zu können. Mir selbst helfen zu können, zählt definitiv dazu. Im Laufe der Zeit entwickelt man Skills, die man nutzen kann, wenn es einem selbst nicht gut geht. Eine Selbsthilfegruppe bietet einem anschließend den Raum, sich darüber auszutauschen, wie man vor dem Hintergrund der eigenen Erkrankung mit verschiedenen Situationen umgeht. Man findet dort Tipps, Trost, Verständnis und immer ein offenes Ohr. Genau das habe ich mir gewünscht, als ich beschlossen habe, meine eigene Selbsthilfegruppe zu gründen. Meine Erwartungen an meine Selbsthilfegruppe wurden auch bisher erfüllt, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe dort auch tolle FreundInnen gefunden. Die Gruppe existiert nun seit vier Jahren und nun, da ich bald mein Studium abschließen und vermutlich umziehen werde, stellte sich plötzlich eine große Frage: Wer übernimmt die Aufgaben, die ich die letzten Jahre übernommen habe, damit das Angebot, dass ich vier Jahre lang aufgebaut habe, nicht einfach in sich zusammenbricht?

Als ich das letzte Mal vor ein paar Monaten gefragt habe, traute sich niemand die Aufgabe zu. Es ist natürlich auch angenehmer, lediglich TeilnehmerIn zu sein und sich um nichts kümmern zu müssen. Doch neben dem Schreiben meiner Abschlussarbeit und meinem Job habe ich gemerkt, dass der Spagat zwischen Selbstfürsorge und Engagement für andere gesundheitlich nicht mehr zu schaffen ist. Deswegen habe ich weiter in der Gruppe herumgefragt und wage nun den Schritt und gebe die Leitung meiner Selbsthilfegruppe weiter. Ich werde alle wichtigen Daten, Kontaktpersonen, Termine und Arbeitsgruppen sammeln und an eine Teilnehmerin der Gruppe weitergeben. Ich habe jahrelang Arbeitskreise besucht, Klinken geputzt, Mails verfasst, Anträge gestellt, Flyer verteilt und an vielen Veranstaltungen teilgenommen und es hat mir immer großen Spaß gemacht. Und nun? Allein diese Vorstellung … Keine Mails mehr, keine Arbeitskreise, keine Veranstaltungen und Telefonate – und alles, was ich spüre ist … Erleichterung.

Ich weiß auch ganz genau, warum. Ich habe in den letzten Monaten gemerkt, dass ich an einem Punkt angekommen bin, an dem ich die Verantwortung für die Gruppe abgeben und auch mein Engagement deutlich reduzieren möchte. Ich habe gemerkt, dass ich für andere Dinge, die mir gerade wichtiger sind, keine Zeit mehr habe und mein Engagement immer mehr zu einer lästigen Arbeit wird, die nicht mehr dieses wohlige gute Gefühl in mir hinterlässt, sondern Energie zieht, sodass ich mich nach Treffen einfach nur noch erschöpft fühle. Das liegt daran, dass sich mein Fokus verschoben hat. Meine Lebenssituation hat sich langsam aber stetig verändert und ich habe andere Prioritäten. Wenn ich mein Engagement deswegen vernachlässigt habe, bekam ich jedoch ein schlechtes Gewissen, da ich wusste, wie wichtig das Projekt ‚Junge Selbsthilfe‘ und meine Selbsthilfegruppe für andere Betroffene sind. Durch das Jonglieren mit zu vielen Projekten und den Erwartungen der anderen, die auf mich zählen, fühlte ich mich zunehmend überfordert und es blieb wenig Raum für mich und meine Selbstfürsorge.

Im Laufe der Zeit habe ich also einfach immer mehr anderen Menschen mit meinem Engagement für die junge Selbsthilfe geholfen und immer weniger mir selbst. Ich glaube, dass es vielen Selbsthilfeaktiven hin und wieder so ergeht. Wir alle haben mit unseren eigenen Erkrankungen zu kämpfen und müssen daher einfach noch besser auf uns Acht geben, dass wir unsere Grenzen nicht ignorieren und überreizen.

Autor*in: Alltagsheldin

Ich melde mich hier als Alltagsheldin stellvertretend für alle anderen Alltagshelden und Alltagsheldinnen zu Wort, die ebenfalls mit einer unsichtbaren chronischen Erkrankung leben.

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