Schon seit Wochen habe ich darauf hingefiebert, diesen Beitrag hier zu schreiben, denn das bedeutet: Ich war ein bisschen mutig. Als es dann letzten Samstag soweit war, wollte ich direkt auf diesem Blog schreiben und davon erzählen. Aber irgendwie war da auch etwas in mir, das mich davon abgehalten hat. Etwas, das sich auch jetzt gerade dagegen sträubt, stolz und freudig diesen Beitrag zu schreiben. Was genau dieses etwas ist, weiß ich nicht. Vielleicht sind es die Selbstzweifel. Vielleicht auch die Gedanken „Das ist doch nichts Besonderes, das möchte niemand lesen“. Ich schreibe es aber nun trotzdem.
Vor meiner Ausreise nach Bulgarien habe ich mir viele Gedanken gemacht. Plötzlich keine Therapie mehr. Keine Selbsthilfegruppe. Keine Menschen, mit denen ich offen über meine Sorgen sprechen kann. Das hat ein großes Gefühl von fehlender Sicherheit ausgelöst. Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass es in diesem Land nicht auch Menschen mit psychischen Problemen gibt, die ebenfalls das Bedürfnis nach Austausch haben, durchforstete ich das Internet stundenlang nach etwas wie Selbsthilfegruppen. Leider erfolglos. Ich weiß auch bis heute nicht, an wen man sich wenden könnte, um von solchen Möglichkeiten zu erfahren. Meine E-Mail an die Caritas und eine psychiatrische Einrichtung blieben unbeantwortet.
Bei dem Vorbereitungsseminar gab es ein „Mental Health Empowerment“. Ich habe die Chance genutzt und dem einen Trainer einen Zettel mit der Bitte um ein persönliches Gespräch zukommen lassen. So sind wir dann am nächsten Tag eine halbe Stunde lang draußen spazieren gegangen und haben geredet. Unter anderem machte er mir Mut, einfach meine eigene Gruppe zu gründen. Dazu nannte er mir eine App, über die man Meetups thematisch suchen und auch selbst organisieren kann. Praktisch gesehen klang das wirklich sehr einfach. Aber auf persönlicher Ebene ist das doch viel schwieriger – gerade wenn man mit sozialen Ängsten zu kämpfen hat. Da ich aber in den letzten Wochen gemerkt habe, dass es mir eigentlich gar nicht gut geht, dachte ich mir, ich habe ja nichts zu verlieren und kann ‚einfach‘ mal ein „Mental Health Meetup“ ansetzen und schauen, ob überhaupt jemand kommt.
Letze Woche Samstag war es dann soweit. Ein erstes Treffen. Zwei Leute hatten zugesagt. Mit klopfendem Herzen und zittrigen Knien stand ich schon eine Viertelstunde früher an dem Treffpunkt und war sehr gespannt darauf, wie es werden würde. Und ob die anderen beiden wirklich kommen würden. Das sind sie. Ein Portugiese und ein Bulgare. Wir haben uns dann in ein Café gesetzt und zwei Stunden lang geredet. Die beiden haben geredet. Ich habe vor allem zugehört. Mehr war nicht möglich, aber vielleicht ist das für das erste Treffen auch in Ordnung. Zumindest der Bulgare schien dafür Verständnis zu haben. Von dem Portugiesen habe ich mich irgendwie sehr eingeschüchtert gefühlt. Irgendwie unverstanden. Irgendwie nicht so wohl. Besonders nicht, als er am Ende meinte, dass es schön wäre, wenn ich beim nächsten Treffen auch mal sprechen würde. Das hat mich noch mehr verunsichert. Aber wahrscheinlich war es nur nett gemeint und ich brauche mehr Zeit, um mich an seine Art zu gewöhnen. Zumindest haben beide gesagt, dass sie mir sehr dankbar sind, dass ich zu diesem wichtigen Thema diese Gruppe gegründet habe.
Wie ich mich danach gefühlt habe: Ich glaube trotzdem ganz gut. Ich bin überrascht von mir selbst, dass ich das gemacht habe, denn als mir der Trainer das beim Vorbereitungsseminar vorgeschlagen hat, hätte ich niemals daran geglaubt. Und vielleicht bin ich auch ein kleines bisschen stolz.
Autor*in: Mutsammlerin
An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.
Liebe Mutsammlerin! Wow! Das finde ich super mutig und richtig großartig, dass du aktiv geworden bist und einfach selbst in Aktion gegangen ist, als klar war, dass es dort, wo du gerade lebst, keine Selbsthilfegruppen gibt. Ich bin sicher, dass da noch was ganz Tolles draus entstehen kann. Lass es dir gut gehen und hadere mal nicht damit, wie du dich mit dem Typ aus Portugal gefühlt hast. Grüße von Uhu
Liebe Uhu, vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich bin auch schon sehr gespannt, wie es mit der Gruppe weiter gehen wird. Ich werde hier berichten 😉
Viele Grüße!
Ich finde es auch ziemlich mutig und stark, dass Du so ein Treffen organisiert hast. Und bin dankbar, dass Du es mit uns teilst, denn es erinnert mich daran, dass wir es sehr gut haben hier, vor allem in deutschen Großstädten, wo es viele Möglichkeiten der Unterstützung gibt.
Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute, Du bist stärker, als Du glaubst. 😉
Oh ja, das habe ich auch gemerkt, wie gut wir es haben. Generell auch was das ganze Thema Therapie angeht. Der Bulgare hat erzählt, dass er „sogar 8-10 Therapiestunden“ hinter sich hat und das hat auch nichts gebracht – kein Wunder, denn was sind schon 8-10 Stunden? Natürlich besser als gar keine Stunden, aber das braucht halt leider nun mal auch seine Zeit und zwar mehr als nur 8 Wochen.
Liebe Mutsammlerin, die Psychologin Irene C. Kassorla schreibt in ihrem Buch „Tun Sie’s Doch“ (Knaur 1988, S. 323, Originaltite: „Go for it“):
Sobald Sie das Wagnis eingehen, den unvertrauten Weg zu wählen, werden Sie sich Ihrer Besorgnis und Unsicherheit wesentlich mehr bewusst werden. Ihre Angst könnte dadurch zum Ausdruck kommen, dass eine innere Stimme Ihnen laut zuruft: „Der kann gefährlich werden!“ Dazu haben Sie vielleicht ein flaues Gefühl im Magen, erhöhten Herzschlag und feuchte Hände. Lassen Sie sich von diesen Empfindungen leiten und vorantreiben. Denn diese Empfindungen sagen in Wirklichkeit: „Geh weiter! Wir wissen, dass es schwierig für dich ist und dass du Angst hast. Aber bleib nicht stehen! Du hast es schon fast geschafft. Es dauert nicht mehr lange, und du wirst diese Angst für immer los sein… für den Rest deines Lebens bist du dann von ihr befreit!“
UM IHRE ÄNGSTE ZU VERTREIBEN, MÜSSEN SIE SIE ZUERST DURCHLEBEN!
Bleiben Sie bei Ihren Ängsten, auch wenn es ungewohnt für Sie ist. Es ist besser, einer Angst ins Auge zu blicken und sie zu durchleben, weil Sie sich damit die Möglichkeit geben, neue, gesunde Verhaltensweisen zu entwickeln, von denen Sie im Endeffekt mehr haben, als wenn Sie Ihr Leben lang den bequemen Weg wählen.
Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist oft der Schlüssel dazu, Qualitäten in sich selbst zu entdecken, die einem letztlich dazu verhelfen, eine in sich ruhende Persönlichkeit zu werden.
„Zu wagen heißt, Angst zu riskieren, aber nicht zu wagen bedeutet, sich selbst zu verlieren.“ (KIERKEGAARD)
Lieber Cord, über diese Worte werde ich mal nachdenken. Grüße aus Sofia!
Hi Mutsammlerin, fühl dich einfach mal ganz feste umarmt, du bist großartig und ich muss immer an dich denken wenn ich deine Texte lese. Und ich wünsche dir noch viel Erfolg mit deiner Selbsthilfegruppe, du musst deiner Angst mal ins Gesicht schlagen und ihr sagen, nicht mit mir- das war nur mal ein kleiner Scherz am Rande 🙂
Liebe Grüße, Rainbow
Danke für deinen Kommentar, liebe Rainbow. Du zauberst mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht 🙂
Herzliche Grüße an dich!