Mutsammlerin geht in einen Beratungsraum der Selbsthilfekontaktstelle

Vor einiger Zeit habe ich für eine Selbsthilfe-Kontaktstelle an einem Dreh für einen Imagefilm mitgewirkt. Ich war mir erst unsicher, ob ich daran teilnehmen soll, denn vor einer Kamera zu sprechen, ist auch immer mit vielen Ängsten verbunden. Was ist, wenn ich die Fragen nicht perfekt beantworten kann? Oder wenn man mir die Angst anmerkt? Doch gerade im Selbsthilfe-Kontext denke ich mir dann immer, dass es dort vielleicht auch irgendwie dazugehören darf und vor allem, dass einem dort Verständnis entgegengebracht wird. Also sagte ich zu.

Das Skript

Ein paar Tage vor dem Dreh wurden uns bereits die Fragen für das Einzelinterview zugesendet. Darüber war ich sehr erleichtert, denn es nimmt mir ein paar Ängste, wenn ich mir vorher schon meine Antworten überlegen kann. Der Aufbau der Fragen ließ dann aber schon vermuten, welche Story sie in dem Film erzählen wollen: Mir ging es schlecht → Ich suchte mir Hilfe in einer Selbsthilfegruppe → Wunderheilung → Jetzt geht’s mir super. Ab da hatte ich dann schon einige Bedenken in Bezug auf den Dreh, denn mir war klar: So lief es bei mir nicht ab und ich werde es deshalb auch nicht so erzählen können.

Das Interview

Als ich vor der Kamera saß, war ich sehr doll aufgeregt. Noch schwieriger war es, weil mir der Mann, der die Fragen gestellt hat, ziemlich unsympathisch war. Außerdem habe ich sehr stark gemerkt, dass er mit meinen Antworten nicht zufrieden war.

Was hat sich durch die Selbsthilfegruppe für dich verändert? 
Es hilft mir zu wissen, dass ich nicht alleine bin und mich in der Selbsthilfegruppe verstanden fühlen kann. 
Kannst du vielleicht etwas mit mehr Empathie sagen? Hast du mehr Lebensfreude durch die Selbsthilfegruppe? Fühlt sich das Leben leichter und einfacher an? Hast du Freunde gefunden? Kannst du das Leben jetzt mehr genießen?
Ehm…. nein…

Was erwartet die Gruppe, wenn man neu dazu kommt?
Die Gruppe hat eigentlich keine Erwartungen, also es ist auch in Ordnung erstmal nur da zu sitzen und nichts zu sagen. Weil ja auch jede Person unterschiedlich lange braucht, bis man sich öffnen kann und etwas sagen möchte.
Naja, aber es bringt ja nur was, wenn man auch selbst was sagt und einbringt. Wenn man da einfach nur sitzt und zuhört, bringt das einem ja gar nichts.
Ehm… naja… Kommt ja auch immer auf das Thema an, ne? 

Meine Meinung

Nach dem Interview war ich irgendwie sehr aufgewühlt. Zum einen fand ich seinen Kommentar unangemessen – vielleicht auch, weil das Thema, in der Gruppe etwas zu sagen, einen wunden Punkt bei mir getroffen hat. Zum anderen, weil das Gefühl, nicht das richtige gesagt zu haben, meine sozialen Ängste sehr befeuert hat. Aber: Etwas anderes zu sagen, wäre nicht nur eine Lüge, sondern ich könnte es auch nicht vertreten.

Ich habe viele Freunde kennengelernt. Nein, habe ich nicht. Und aus meiner sozialphobischen Perspektive würde es mir noch mehr Angst machen, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen, wenn mir vermittelt wird, dass man dort viele Freund*innen findet. Natürlich ist es schön, wenn sich in einer Gruppe auch Freundschaften entwickeln. Aber zu einer neuen Gruppe zu kommen, ist schwierig genug. Wenn ich dann noch das Gefühl hätte, dass die alle miteinander befreundet sind, würde es das für mich noch tausendmal schwieriger machen.

Ich habe viel mehr Lebensfreude. Nein, habe ich nicht. Und auch diese Aussage finde ich problematisch. Denn wenn es mir nicht so ergeht, obwohl ich schon seit längerem zu einer Selbsthilfegruppe gehe, frage ich mich: Wieso ist das bei mir nicht so? Wieso geht es mir noch schlecht? Dabei sollte es mir doch schon super gut gehen! Was ist falsch mit mir?!

Selbsthilfeerfahrungen sind individuell

Genauso wie jeder Mensch individuell ist, ist auch das Erleben in der Selbsthilfegruppe individuell. Es macht einen Unterschied, ob ich in einer Angehörigengruppe bin, in einer psychosozialen Gruppe oder in einer für psychische Erkrankungen. Und nochmal anders ist es bei Gruppen zu physischen Erkrankungen und Behinderungen. Und selbst dann hat die Selbsthilfegruppe noch für jede Person eine andere Wirkung und Bedeutung.

 

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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