Bewertungsängste begleiten mich schon mein ganzes Leben. Als Einzelkind war ich diesen schon sehr früh ausgesetzt. Das einzige Kind, auf dem die ganze Aufmerksamkeit liegt. Habe ich etwas Schwieriges geschafft, wurde ich selbstverständlich gelobt und selbst wenn ich etwas geschafft habe, was nicht wirklich anspruchsvoll war, wurde ich gelobt. Selbiges gilt für das genaue Gegenteil. Als Einzelkind war ich permanent der Beobachtung ausgeliefert, keine Geschwister, die ein bisschen Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder denen man neckisch die Schuld für verschüttete Getränke in die Schuhe schieben kann. Babys dürfen Getränke verschütten, da ist es doch halb so wild. Bei einem Kind wird es schon schwieriger, vor allem wenn es das einzige ist.
Dadurch hat sich bei mir ein ungesundes Gefühl zum Thema bewertet werden entwickelt. Entweder brauche ich das Feedback, die Bewertung, das Lob, die Anerkennung, usw. um überhaupt zu sehen, dass ich etwas geleistet habe bzw. um zu wissen, dass ich gesehen werde oder bin ängstlich und furchtsam, wenn es darum geht zu denken, wie die anderen wohl meine Leistung sehen. “Was bekomme ich?” “Kommt es gut an?” “Oje, ich habe hier etwas ausgelassen, hoffentlich merkt das keiner!” Gedanken die permanent um meinen Kopf schwirren und mir meine aktuelle Stimmung versauen, mich aus dem Moment reißen, an meiner Kraft zehren, die ich eigentlich gerade für etwas anderes deutlich besser gebrauchen könnte, oder mir die ein oder andere Stunde vor dem Einschlafen rauben.
Diese Bewertungsängste waren mit einer der Gründe für meine Abhängigkeit und der Versuch, diese im Zaum zu halten, wurde zur Konsumgelegenheit. Doch das ist eine andere Geschichte, die es sich definitiv zu erzählen lohnt, um die es heute aber nicht gehen soll.
Im letzten Blogeintrag, der nun schon ein paar Monate zurück liegt, habe ich von der wiedergewonnene Lust am Schreiben berichtet und wie mir der Blog dabei geholfen hat. Ein wichtiger Satz aus diesem Beitrag war, dass ich eine Gemeinschaft gefunden habe, in der ich mich frei von Bewertungsängsten entfalten kann.
Ich kann mich noch gut an meine ersten Einträge erinnern. Das ständige Herumgrübeln, ob der Satz so wie er auf dem Papier steht auch sitzt oder ob ich nicht an der einen oder anderen Formulierung vielleicht ein bisschen mehr feilen könnte. Am besten so lange, bis vom Ursprungsmaterial nichts mehr übrig ist außer Staub. Staub der sich verflüchtigt, ohne jemals wahrgenommen worden zu sein.
Eigentlich weiß ich, dass das ständige Grübeln und ewige Feilen auch nichts anderes war, als der Ausdruck meiner Bewerrtungsängste. Was sollen die Anderen von mir denken, wie kommt der Beitrag an, was wenn ich mich hier verzettel. Die ewigen Was-Fragen, auf die es eigentlich nur eine Antwort gibt. “Ja und!” Es wird nichts passieren und genau hier liegt das Problem. Selbst wenn ich einen Beitrag schreibe, mit dem ich nicht zu 100% zufrieden bin und ich kenne mich gut, ich weiß dass dieser Fall niemals eintreten wird, dass ich 100% zufrieden bin, ist es ein Beitrag mehr, den es sonst nicht gegeben hätte.
Für mich war das veröffentlichen von Beiträgen ein wahrer Kraftakt. Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, Einträge zu schreiben und diese nicht permanent korrekturlesen zu müssen. Auf der ewigen Suche nach Fehlern, dem permanenten Druck ausgesetzt eine bessere Formulierung finden zu müssen und fortwährend die Sätze umstellen wollen, bis am eine eine lebensunfähige Chimäre übrig bleibt, die alles andere als schön anzusehen ist. Letzten Endes ist so der ein oder andere Eintrag im Datenmeer meines Laptops verschwunden oder ist nie über den Zustand der Grübelei hinaus gekommen.
Mir hat es ungemein geholfen, zu wissen, dass ich mich in einer Gemeinschaft befinde, die mich so aufnimmt wie ich bin und das hat schon vollkommen gereicht, um über meinen Schatten zu springen und einen Eintrag zu veröffentlichen, an dem ich mir nicht tagelang die Zähne ausgebissen habe und der mich noch weit vor dem ersten Satz auf dem Papier, in meinen Gedanken heimgesucht hat.
Auch wenn ich heute immer noch meine Probleme damit habe und ständig an das bewertet werden denken muss, habe ich es dennoch geschafft, das Grübelmonster leiser zu stellen. Ich höre es noch, ich fühle, dass es da ist und ich weiß wo es sich versteckt und gleichzeitig spüre ich, dass es keine Gewalt mehr über mich hat, die ich nicht imstande wäre zu brechen.
Der Blog und die Arbeit im und am Blog haben mir ungemein geholfen, mich einer Situation zu stellen, in der mich meine Bewertungsängste gerne lähmen und mich am Handeln hindern. Ohne dass ich es aktiv gesucht habe oder es auf irgendeiner ellenlangen Liste gestanden hat, kann ich heute sagen, dass das Schreiben in diesem Blog für mich zu einem Skill geworden ist. Einem Skill, der mir ungemein dabei hilft, meine Bewertungsängste zu bändigen und nicht nur beim Schreiben seine Wirkung entfaltet, sondern in den vielen Gelegenheiten des Alltags mich meine Bewertungsängste vergessen lässt.

(Bildquelle: Instagram: @paul.period)

Autor*in: Bossi

Ich möchte meine eigene Gruppe etwas anders angehen und die üblichen Runden einer Selbsthilfegruppe mit ein paar innovativen Methoden etwas beleben. Über eben diesen Einsatz von Methoden in der Selbsthilfe, meine Erfahrungen damit und meine persönliche Suchtgeschichte möchte ich im Blog berichten und mich darüber austauschen.

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