Sätze, die von Unverständnis und Entsetzen geprägt sind, begleiten mich durch mein gesamtes Leben.
„Sowas kannst du nicht sagen!“ „Das ist deine Mutter!“ „Hast du denn gar keinen Respekt?“ „Sei mal dankbar!“
Doch muss ich jemanden mögen, lieben, wertschätzen oder respektieren, nur weil ich biologisch, vielleicht auch gesellschaftlich gesehen, eine ‚untergeordnete Position‘ habe? Eine Tochter bin?
Körperliche Gewalt und sexueller, vor allem innerfamiliärer, Missbrauch löst in unsere Gesellschaft Entsetzen sowie Unverständnis gegenüber den Tätern aus. Psychische Gewalt bzw. Misshandlung hingegen ist für viele ein unbeschriebenes Blatt. Diese Form der Gewalt hat keine sichtbaren Verletzungen zur Folge. Es geschieht oft unbemerkt, jedoch ebenso alltäglich. Diffamierungen, Beschimpfungen, Drohungen, Erniedrigung, Schuldzuweisungen, Isolation… Als Opfer wird man oft nicht ernst genommen. Es wird als Dramatisierung, Erfinden oder als ’normale Konfliktsituationen‘ abgestempelt, obwohl die Folgen massiv sein können. Je jünger, desto schwieriger ist es die Situation glaubwürdig zu vermitteln.
Als Kind habe ich vieles nicht verstanden. Emotional wurden ich hin und her geschubst. Kontakte wurden verboten, abstruse Bedingungen gestellt. Drohungen, Schuldzuweisungen und Diffamierung durch die Mutter waren mein Alltag. Gelegentlich lernten Gegenstände fliegen. Tischplatten wurden abgeschlagen. Nur an wenige Situationen kann ich mich erinnern: ein paar Sätze, Bilder und Gefühle – meist Angstgefühle. Vergleichbare Situationen, meist in abgemilderter Form, treten nach wie vor auf. Der Unterschied: Heute bin ich erwachsen, habe gelernt mich abzugrenzen und Kontra zu geben. Doch Erinnerungen und Ängste bleiben.
Autor*in: Dickdarmlos
Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.
Hey liebe Dickdarmlos, das ist entsetzlich und mir tut es total leid, dass du so etwas mitmachen musstest! Gab es Menschen, die sich gekümmert haben und versucht haben, das furchtbare Verhalten deiner Mutter auszugleichen?
Ich hoffe, dass alle die deinen Text lesen daran erinnert werden, wie wichtig es ist, dass wir Kindern beizustehen, wenn wir mitbekommen, dass es ihnen nicht gut geht mit ihren Eltern – damit sie wenigstens andere Verbündete haben, die in Teilen das übernehmen können, woran die Eltern versagen.
Liebe Uhu,
danke für deine Worte. Es gab im Prinzip niemanden, sodass ich immer wieder geflüchtet bin. Leider hat auch das Jugendamt seinen Job nicht richtig gemacht und selbst nicht ausreichend interveniert, als ich stark genug war Position zu beziehen. Die Jugendämter sind einfach überlastet, denke ich, und es passieren unverhältnismäßig viele Fehler zu lasten der Kinder- und Jugendlichen…
Schön, dass du meinen Beitrag so aussagekräftig findest. Ich hoffe sehr, dass die ein oder andere Person, insbesondere Eltern und Personen, die in der Jugendhilfe tätig sind, ein wenig wachgerüttelt werden. Mich entsetzt es, wie viel Aufmerksamkeit körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch erhalten – womit ich nicht sagen möchte, dass dies falsch wär. Es ist absolut notwendig! – und, dass zugleich psychische Gewalt und Deprivation so wenig Beachtung erhalten. Sowohl die Medienpräsenz betreffend, was durchaus wichtig wäre um aufzuklären, als auch die Fachdisziplinen betreffend. Denn die Verharmlosung dieser Gewaltform ist vor allem dann ein Problem, wenn sie von Fachpersonen ausgeht und in diesem Fall Kinder und Jugendliche alleine da stehen, selbst wenn sie aktiv nach Hilfe ringen.
Ein toller Beitrag und danke für Ihren Mut darüber zu schreiben. Ihr Beitrag dient mir heute beruflich wie privat als Impulse meine Haltung zur psychischen Gewalt zu reflektieren und meinen Blick darauf zu schärfen.
Hey Mathias,
Danke für deine Rückmeldung. Sich selbst reflektieren ist einfach enorm wichtig und meiner Meinung nach durchaus eine „Grundkompetenz“. Schön, dass ich dir mit diesem kleinen Beitrag einen Impuls dazu geben konnte. Vielleicht geht es weiteren Personen, die diesen Beitrag lesen, auch so. Das wär klasse! Danke. 🙂