Zum letzten Blogeintrag: Die Abschlussfeier war echt… Mies. Einer aus meiner Klasse hat noch richtig Stress gemacht, weil er den Abschluss nicht geschafft hat. Er wurde laut – für mich zu laut. Nach diesem letzten Schulbesuch konnte ich den Nachmittag noch mit einem sehr guten Freund genießen. Leider fehlen mir ein paar Stunden an diesem Tag. Bis auf den Wutausbruch meines Mitschülers konnte ich keine Trigger dafür ausfindig machen.

Spontan nach Österreich

Nachdem ich jetzt mein Abschlusszeugnis in den Händen halte, dachte ich mir, dass ich was anderes außer Deutschland sehen möchte. Noch ein weiterer Auslöser für diese spontane Reise: Das teilweise große Unverständnis für mich und meine Symptome. Ich brauche Abstand, ich muss hier raus.
Eigentlich war geplant, dass eine Freundin aus Salzburg das Wochenende bei mir verbringt. Allerdings hat ihre Mutter von meinem Stress hier Wind bekommen und so wurde ich kurzerhand nach Salzburg eingeladen.

Tickets, Panik und Hunde bei der Deutschen Bahn

Donnerstag, 08.07.21
Skype bimmelt, meine Freundin aus Österreich ruft an. Ihre Mutter schlägt vor, ich solle doch nach Salzburg kommen. Also suchen wir nach einem passenden Zeitfenster. Da die Freundin, Ari, in zwei Wochen nach Italien fahren würde – sie möchte dort in den Ferien arbeiten – und ich für die nächste Woche nur Freitag Abend verplant war, hat sich also der 12.-15.07.21 (Montag – Donnerstag) angeboten. Nach einer halben Stunde (!) Ticket buchen, kann ich nun behaupten, dass ich für knappe 70€ von Frankfurt (Main) nach Salzburg und wieder zurück fahre. Und natürlich: Ich fahre zu den unmöglichsten Zeiten. Nachts um 02:40 Uhr (12.07.) geht’s mit dem ICE nach München und von dort weiter im RE 5 nach Salzburg. Ankommen soll ich um 09:42 Uhr am HBF. Zurück geht es am 15.07.um 19:15 Uhr. Wieder nach München und von da aus mit dem ICE nach Frankfurt (Main).
Aktuell schiebe ich auch ein wenig Panik. Die Deutsche Bahn versucht es seit jeher, das Reisen mit (Assistenz-) Hund kompliziert zu gestalten. Und da aktuell noch das Verfahren zum GdB läuft, habe ich natürlich noch keinen Schwerbehindertenausweis. Also brauche ich für Mücke ein Ticket (Kinder, 6-14 Jahre) welches per Post kommen soll…
Ich habe mein Ticket online, auf der Fahrkarte steht 1 Erwachsener, 1 Kind. Wir hoffen, dass ich damit ohne Probleme nach Salzburg komme. Denn mein Kopf spinnt gerade wieder alles mögliche zusammen: Was wenn ich aus dem Zug fliege? Was wenn ich nach Österreich nicht einreisen darf? (Ich bin geimpft!) Und was, wenn ich Mücke in Österreich gar nicht als Assistenzhund führen darf? Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich nämlich ein Gesetz für Assistenzhunde.
Meine Therapeutin konnte mich beruhigen. Ich soll den Komfort-Check In nutzen und zur Ablenkung lesen oder Netflix schauen. Und Ari hat mir versichert, dass wir in Österreich keine Probleme mit Mücke bekommen werden.
Wir halten fest: Bei der Deutschen Bahn fahren Assistenzhunde nur kostenlos, wenn man einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen B hat, oder einen Schwerbehindertenausweis mit einem Attest, dass man auf seinen Hund angewiesen ist. Ich habe noch keinen Schwerbehindertenausweis, nur ein Attest und das Schreiben der Hundeschule. Also Verlangt die Deutsche Bahn ein gesondertes Ticket für den Hund (Kind von 6 – 14 Jahren, alleinreisend), welches per Post zugeschickt werden muss. Zusätzlich zahle ich nochmal die Hälfte MEINER Fahrkarte, damit Mücke nach Österreich einreisen darf. Bedeutet: Mein Ticket hin kostet 35€. Für Mücke soll ich ein Ticket für 17,50€ kaufen, damit er im ICE mitfahren darf. Zusätzlich muss ich für Mücke noch 17,50€ bezahlen, damit er nach Österreich einreisen darf. Also zahle ich für Mücke genauso viel wie für mich. Hm, also.. Ich habe ein Onlineticket gebucht, das für einen Erwachsenen und ein Kind von Frankfurt bis Salzburg und zurück gültig ist. Zusätzlich habe ich ein Attest dabei und das Schreiben der Hundeschule. Ja doch, wird spannend.
Für Mücke habe ich extra lange Umstiegszeiten eingeplant, so dass wir uns noch München im wunderbaren Berufsverkehr anschauen können (Gassi gehen).

Auf geht’s!

Sonntag, 11.07.21
Alles ist gepackt. Ich bin wieder minimalistisch unterwegs: 4 T-Shirts, 1x Kurze Hose, Unterwäsche, Regenponcho, Zahnbürste und Zahnpasta, Testogel, Duschgel, Futter, Maulkorb, Kenndecke, Kopfhörer, Laptop und Ladegerät, Kindl, Handy und Ladegerät, Geldbeutel und Schlüssel, FFP2-Masken, Impfpass, Corona Schnelltest, Attest und Nachweis der Hundeschule für Mücke, kleiner Faltnapf, 2 Flaschen Wasser und die flauschige Decke für Mücke.
Mücke hat beim verlassen des Hauses sein Geschirr mit Kurzführer und Leine an, ich eine lange Jeans, ein Shirt und einen Pullover.
Ja, ich habe alles was ich brauche. Und es passt alles in einen normalen Schulrucksack rein!

Sorgen und Bedenken habe ich noch immer oder viel eher schon wieder. Ich kann gar nicht sagen wovor ich am meisten Angst habe. Aus dem Zug zu fliegen? Ein Krampfanfall? Langer dissoziativer Zustand? Flashbacks? Keine Ahnung. Um 22:05 mussich aus dem Haus um mit der vorletzten Verbindung nach Frankfurt (Main) zu fahren. Die letzte hätte ich gern als Backup, falls irgendwas mit dem Zug ist.

Montag 12.07.21
Die lange Zugfahrt nach Österreich war anstrengend. Aber: Wir hatten keine Probleme mit Kontrollen oder wurden irgendwie doof behandelt. Ganz im Gegenteil: Die Kontrolleure waren super freundlich. Und ich habe festgestellt, dass die BRB das Bayerische Pendant zur VIAS aus Hessen ist. Und wegen Corona wurden wir schonmal gar nicht kontrolliert – Österreich hat zum Zeitpunkt des Schreibens eine niedrigere Inzidenz als Deutschland. Meine Sorgen waren – wie nahezu immer – unbegründet. Ein für mich wichtiger Punkt, da ich gern lernen würde, nicht immer bei Ungewissheit in Panik auszubrechen.
In Salzburg wurden wir dann nach knappen 12h Zugfahrt und Unterwegs sein unfassbar herzlich empfangen. Den Tag haben wir aber nicht mehr viel gemacht, dazu war ich einfach zu platt.

Dienstag 13.07.21
Ich hab ja die Macke, dass ich überall wo ich herkomme, etwas neues für Mücke finde. Und da Ari gut nähen kann, sogar bald einen eigenen Shop für Hundebedarf aufmacht, hat meine Fellnase ein neues Geschirr und eine neue Kenndecke bekommen.
Das Praktische am neuen Geschirr: Ich kann es als Führgeschirr verwenden und die Kennzeichnung ist nicht bedeckt.
Auch waren wir einkaufen, was ich mich in Deutschland mit Assistenzhund nicht traue. Es ist selten, dass ich so entspannt in einen Laden gehen kann, ohne komisch angeschaut zu werden. Wenn es um ein barrierefreies Leben geht, ist Österreich irgendwie um 100x fortschrittlicher als Deutschland.

 

 

Autor*in: Glückskind

Wie man aus dem persönlichen Horrorfilm 'ne Komödie macht? Man kippe Synästhesie, eine kPTBS, Queer* sein und ganz viel Glück in einen Topf. BOOM! Schau an, das Glückskind lebt!

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