Mutsammlerin im Schnee

Wenn ich an das Jahr 2021 denke, habe ich das Gefühl, kaum Mutmomente erlebt zu haben. Vielleicht liegt es daran, dass die Jahre davor von vielen großen Mutmomenten geprägt waren und dieses Jahr im Vergleich einfach nicht mithalten konnte. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mich die Ängste in diesem Jahr wieder stärker eingeschränkt haben als zuvor, wodurch auch hier im Blog in diesem Jahr weniger Beiträge von mir erschienen sind. Oder aber es liegt daran, dass mir die Ängste einreden, nicht genug gekämpft zu haben. Nicht genug erreicht zu haben. Nicht gut genug gewesen zu sein. Denn wenn ich genauer auf das Jahr zurückblicke, hatte es doch ein paar schöne und mutige Momente für mich.

Anfang des Jahres habe ich mich vor allem über den Schnee gefreut. Ich liebe es, wenn draußen alles weiß funkelt und die Welt verzaubert aussieht. Nachdem es im Januar schon etwas geschneit hat, kam im Februar dann noch der richtige Winter, wie ich es mir zuvor gar nicht erträumt hätte. Der Weg zum Arbeitsplatz wurde zur Schneewanderung und auch ansonsten fiel es mir leichter, das Haus zu verlassen. Außerdem war ich im Februar zum ersten Mal im Fernsehen zu sehen. Per Videokonferenz zugeschaltet habe ich in einem Beitrag mit Lea Gericke von ana_dismissed im ARD Mittagsmagazin über Essstörungen in Zeiten der Pandemie gesprochen. Ganz schön aufregend!

Habe ich am Anfang von diesem Beitrag wirklich gedacht, dass es in diesem Jahr kaum Mutmomente gab? Im März und April war ich auf Instagram bei Live-Gesprächen mit soul_lala und Nora Fieling. Auch wenn ich mittlerweile schon eine Hand voll Interviews hinter mir hatte, war ich doch ziemlich doll aufgeregt! Besonders der Fakt, dass die Gespräche live waren & nichts geschnitten wird, hat die Angst nochmal verstärkt. Zum Glück konnte ich während der Gespräche ein bisschen ausblenden, dass da einige Menschen zuschauen und habe es als recht angenehm empfunden, mit Madeleine und Nora zu sprechen.

Im Mai hat sich mein Leben langsam verändert. Ich hatte meinen letzten Arbeitstag als studentische Hilfskraft und war zum letzten Mal bei meiner Selbsthilfegruppe in Braunschweig. Endlich hatte das ständige Überlegen, ob ich hingehen soll oder nicht ein Ende. An meinem Geburtstag bin ich mit meiner Familie ans Zwischenahner Meer gefahren. Ich mag es immer so gerne, am Wasser spazieren zu gehen!

Was in der ersten Jahreshälfte deutlich zu kurz gekommen ist, war das Tanzen. In Braunschweig habe ich mich nicht getraut, mir eine neue Tanzschule zu suchen und die Premiere von einem Bremer Tanzstück wurde immer wieder verschoben. Im Juni konnte ich dann immerhin an einem digitalen Tanzprojekt vom Theater Bielefeld teilnehmen. Zum Abschluss gab es dann ein Treffen auf dem Rathausplatz, um gemeinsam die Choreografien zu tanzen, die wir uns zuvor online erarbeitet hatten. Es war schön, endlich wieder mit anderen Menschen gemeinsam zu tanzen!

Anfang Juli war es dann endlich soweit und wir konnten mit dem Tanzstück „Vermutungen über (…)“ der Bremer Choreografin Birgit Freitag Premiere feiern. Es war aufregend und toll, endlich wieder auf der Bühne zu stehen und das Stück hat einfach Spaß gemacht. Auch meine Familie ist extra nach Bremen gefahren, um sich eine der drei Vorstellungen anzuschauen. Und wo man eh schon Richtung Norden war, sind wir danach direkt für ein paar Tage weiter in den Urlaub nach Kellenhusen an die Ostsee gefahren. Ende Juli habe ich mich dann aus Braunschweig verabschiedet und bin zurück in die Heimat gezogen.

Es ist schön, wieder daheim zu sein, hat mich in Braunschweig doch wirklich nichts gehalten. Hier kann ich endlich wieder regelmäßig tanzen und vereinsame nicht immer weiter in meinem Zimmer. Aber auch hier wieder mit dem Tanzen anzufangen, war gar nicht so einfach. Es kostet mich bis heute immer wieder mal mehr, mal weniger Mut, mich auf den Weg zum Tanzzentrum zu machen. Für den Start hat mir geholfen, im August direkt mit einer intensiven Tanzwoche zu starten, bei der auch Gastdozenten gekommen sind. Es hat Spaß gemacht und ich bin immer wieder froh, dass ich nun mehrmals die Woche zum Tanzen gehen kann.

Im September habe ich zunächst an einem Dreh mit dem Bundespresseamt für eins meiner Ehrenämter teilgenommen. Es war aufregend, aber auch schön, ein paar Menschen aus dem Verein endlich mal in echt wiederzusehen und nicht nur auf dem Bildschirm. Kurze Zeit später sollte ich nochmal die Möglichkeit haben, Menschen aus dem Verein in echt kennenzulernen: Mit einer kleinen Gruppe ging es für ein Wochenende nach Berchtesgaden. Dort habe ich mich in die Berge verliebt und gemerkt, dass es okay ist, sich auch in so einer Situation zwischendurch zurückzuziehen & dass andere Menschen meine Ruhe auch schätzen können.

Auch unser Blogger*innen-Treffen im Oktober gehört natürlich mit in meine Mutsammlung! Denn auch wenn mir klar war, dass ich auf jeden Fall dabei sein möchte, hat es doch auch ganz schön viel Mut gekostet. Und wieder musste vorher doppelt gepackt werden, denn am Tag danach ging es nochmal mit meiner Familie ans Meer. Dieses Mal nach Bensersiel an die Nordsee. Auch das war wieder sehr schön. Zwei Tage später bin ich dann mit einer Freundin nach Frankfurt gefahren. Mit mehreren Stunden Verspätung sind wir auf der Frankfurter Buchmesse angekommen. Meine erste Buchmesse! Etwas überfordert von den ganzen Eindrücken ging es am Abend dann auch schon wieder nach Hause und ich brauchte mehrere Tage, um meine Energiereserven wieder aufzufüllen.

Im November ging es für mich dann nochmal für ein paar Tage nach Bremen. Wir hatten eine Wiederaufnahme von unserem Tanzstück und durften zwei Vorstellungen spielen. Es war schön, die anderen wiederzusehen und das Stück noch einmal dem Publikum präsentieren zu können. Vor allem, weil es noch nicht das letzte Mal gewesen sein wird. Außerdem habe ich im November für eine Online-Redaktion zwei Interviews geführt. Das waren auf jeden Fall auch große Mutmomente – angefangen bei den Telefonaten für die Terminabsprachen bis hin zum eigentlichen Interview.

Und nun ist der Dezember da, der genauso wie das Jahr ziemlich schnell vergangen ist. Seit knapp zwei Monaten schreibe ich nun schon an meiner Masterarbeit. Die Suche nach Prüfer*innen war anstrengend, enttäuschend und brauchte ganz viel Mut. Jede Sprechstunde mit meinen Betreuerinnen brauchte ganz viel Mut. Und auch, überhaupt mit dem Schreiben zu beginnen, hat ganz viel Mut und Überwindung gekostet.

Nun, ich glaube, ich war doch gar nicht so un-mutig in diesem Jahr. Es waren vielleicht eher die alltäglichen Dinge, die ich mit einer Portion Mut bewältigt habe. Die mir die Ängste klein reden wollen, weil es doch ganz ’normale‘ Sachen sind, die keinen Mut erfordern sollten. Und doch tun sie es für mich.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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