Wir hier bei der NAKOS dachten ja immer, dass es darum geht, gegen das Vorurteil anzugehen, dass Selbsthilfegruppen immer so sind, wie die Leute das aus amerikanischen Serien kennen (oder schlimmer: aus veräppelnden Sketchen): Menschen sitzen im Kreis und stellen sich reih um vor („Hallo, ich bin der Peter und ich habe …“). Wir wollten immer vermitteln, dass es sehr verschiedene Arten von Gruppen gibt, und das hier und gerade in jungen Gruppen viel kreatives, spannendes passiert, sich Leute miteinander entwickeln, über ihre Grenzen hinauswachsen usw.

Das Klischee der Selbsthilfegruppe als Stuhlkreis – oft verknüpft mit der Assoziation „Leute mit Alkoholproblemen“ geht auf die Gruppen der Anonymen Alkoholiker zurück und bei vielen eben vor allem auf das, was sie mal in einem Film oder in einer Serie von so einer Gruppe gesehen haben. Auch für mich waren die AAs eher eine Blackbox und so habe ich das Angebot einer Bundestreffenbeteiligten dankbar angenommen, doch einfach mal zu einem AA-Treffen mit zu kommen. Dies als Besucherin zu tun, ist möglich, weil auch die in den AA-Gruppen aktiven Leute durchaus ein Interesse daran haben, dass die üblichen Vorurteile mal aufgebrochen werden.

Und was soll ich sagen? Der Abend war der Hammer! Nach ca. zwei Stunden stolperte ich ganz beseelt wieder aus dem Treffen raus und jetzt bin ich ein bisschen verwirrt … Ich hatte ja gar nicht erwartet, dass es unangenehm wird, aber dass ich es dann doch so beeindruckend fand, kam für mich schon als Überraschung.

Anfangs war ich ziemlich befangen: Schon während ich im starken Regen nach dem Haus einer Kirchengemeinde suchte, in dem das Treffen stattfinden sollte, habe ich die Leute auf den Straßen ganz anders wahrgenommen: Die Dichte an Menschen auf der Straße, die mal eben eine Bierflasche mit sich spazieren führen, ist in Berlin schon extrem – aber so stark wie an diesem Abend ist mir das echt noch nie aufgefallen: Alkohol (und -Geruch) echt überall. Ich war circa zehn Minuten vor dem Beginn des Treffens in den Räumen, bis es dann losging dauerte aber noch eine Weile, da sich eigentlich alle in einem Vorraum erst einmal einen Tee machten, was vom Buffet (jawohl!) nahmen und miteinander tratschten. Mir wurde von mindestens zehn verschiedenen Leuten auch ein Tee angeboten und mindestens zehn weitere stellten sich mir vor (mit Vornamen) und fragten, ob ich heute das erste Mal da sei. Da meine „Kontaktfrau“ noch nicht da war (sie hatte an dem Abend unten an der Tür den Begrüßungsdienst, aber irgendwie hatte ich sie in der Dunkelheit und wegen des Regens nicht gesehen), wurde ich immer verlegener mit meinem „Hallo, ich bin Uhu, und naja, eingentlich bin ich nur als Gast hier…“. Mir wurde mein Anliegen, nur mal gucken zu wollen, „was die da so machen“, immer unangenehmer und ich fühle mich deutlich fehl am Platz. Als ich dann bei einem Mann wieder so rumblubberte „Nee, bin auch keine Angehörige … arbeite halt in der Selbsthilfeunterstützung … wollte eigentlich nur mal wissen, wie …“, grinste der freundlich und sagte „Kannst du dir gleich mal merken, bei den AAs muss sich keiner erklären. Ist schon okay“.

Dann ging es zum Glück los und ziemlich viel war anders, als ich gedacht hatte: Jede Menge Leute (ca 80), und nix mit Stuhlkreis (alle in Reihen hintereinander, vorne an einem Tisch saßen eine Frau, die begrüßte und dann später ein junger Mann, der an dem Abend zugesagt hatte, seine Geschichte zu erzählen). Auch die Zusammensetzung der Leute war anders als erwartet (aber dazu muss ich sagen, dass ich nicht weiß, ob das vielleicht daran lag, dass das Treffen in einem jungen und hippen Bezirk Berlins stattfand): Der weitaus größte Teil der Leute war jung oder mittelalt, mindestens die Hälfte der Anwesenden waren Frauen und eine ganze Reihe klangen als sei Deutsch nicht ihre Muttersprache. Mit hat total gut gefallen, wie empathisch und humorvoll die Leute miteinander umgegangen sind. Auch dass der Blick viel auf das Gelungene gerichtet wurde, fand ich stark. So wurden unter anderem alle in ihren sehr unterschiedlichen Zeiten der Abstinenz (von vielen Jahren, über ein paar Monate, über ein paar Tage bis hin zu den letzten 24 Stunden) richtig gefeiert. Wahrscheinlich ist das alles auch ein bisschen durch die amerikanischen Wurzeln der AAs geprägt, aber ich fand es gerade vor dem Hintergrund des üblicherweise ja eher etwas rüden Berliner Umgangstons super angenehm und ich habe gedacht, dass ich zwar ganz bestimmt kein Thema mit Drogen haben möchte, aber es  trotzdem sehr schön fände, auch eine Gruppe zu haben, in der man sich immer wieder zusammen auf eine „Attitude of Gratitude“ einschwingt. Ganz doll beeindruckend fand ich auch die Bereitschaft der Leute, für andere da zu sein: Ganz viele hatten eine Aufgabe übernommen (Tee kochen, Stühle auf- und abbauen, Neue begrüßen, Büchertisch beaufsichtigen, das Treffen moderieren, im Anschluss an das Treffen (das immerhin bis 21 Uhr ging) noch mit denjenigen, die das brauchen, in ein Café gehen und weiterreden) und es ist üblich, sich als Pate (Sponsor war das Wort, glaube ich) zur Verfügung zu stellen für Leute, die noch frisch in der Abstinenz sind. Eine junge Frau erzählte, dass sie mit ihrer Sponsorin seit drei Jahren die Verabredung laufen hat, dass sie ihre Sponsorin gleich als erstes morgens nach dem Aufwachen anruft und dass diese feste Verabredung an vielen Tagen der letzen drei Jahre der einzige Grund gewesen sei, dass sie es morgens geschafft habe, aufzustehen. Diese Bereitschaft ihrer Sponsorin für sie da zu sein, mit dieser Verlässlichkeit, finde ich Wahnsinn!!!

So, jetzt höre ich mal auf, sonst wird das hier zu lang. Aber nur um noch mal kurz an den Anfang des Textes zurück zu kommen. Ich denke jetzt nicht mehr, dass es darum geht,  Leuten zu sagen, dass die Selbsthilfe doch eigentlich gar nicht so ist, wie bei den Anonymen Alkoholikern. Klar gibt es zig verschiedene Varianten und Selbsthilfe ist und kann so sein und darf sich so entwickeln, wie die Leute, die in den Gruppen sind, es möchten – aber die AAs sind auf jeden Fall richtig, richtig gut!

… findet Uhu

Autor*in: Uhu

... bei der NAKOS für das Portal für Junge Selbsthilfe verantwortlich, also keine Selbsthilfe Aktive, sondern eher mit der Selbsthilfekontaktstellenperspektive hier mit dabei.

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