Wie gehe ich mit scheitern um?, Wie definiere ich scheitern? Brauchen wir einen anderen Umgang mit dem Thema Scheitern?

Blue: Ich muss leider sagen, das ich mit dem Thema scheitern nicht gerade gut umgehen kann. Scheitern gehört bei mir zu meinen größten Ängsten und die Angst vor dem Scheitern hindert mich an so vielen Dingen. Ich schaffe es oft nicht mir die nötige Kraft oder Energie zu geben um neue Dinge die mich interessieren könnten anzugehen weil ja die Möglichkeit bestehen könnte das ich scheitern kann. Ich glaube gerade in unserer Gesellschaft hat Scheitern einen sehr bitteren Nachgeschmack. Unsere Gesellschaft ist vom „Funktionieren müssen“ geprägt und wenn man nicht 100% oder sogar 110% geben kann dann sollte man es gleich lassen. So sagt mir das mein Gefühl zumindest. Ich glaube wir bekommen schon früh vermittelt, das scheitern nichts gutes ist. Alleine das Wort klingt so negativ. Aber ich glaube wir können es schaffen, mit viel Arbeit und auch Kraft scheitern für uns zu nutzen.
Ich glaube auch das zumindest bei mir die Angst vorm Scheitern eng mit meinem ungesunden Perfektionismus verknüpft ist. Ich setze mich selbst zu sehr unter Druck alles direkt und perfekt hinbekommen zu müssen das ich nicht anders kann als im Endeffekt nüchtern betrachtet zu scheitern. Und so ergibt sich bei mir der Kreislauf, alles perfekt machen zu müssen, unweigerlich scheitern weil es kein Perfekt gibt und dann nichts mehr zu beginnen weil scheitern sich einfach kacke anfühlt.
Aber auch glaube ich, auch wenn ich es mir immer zu selten sage, dass man eigentlich erst dann scheitert wenn man aus Angst zu scheitern nichts mehr macht. Wenn etwas nicht auf Anhieb klappt oder man es nicht perfekt hinbekommt, dann darf und sollte das auch ok sein. Wie heißt es so schön? Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.20:24

Mutsammlerin: Was Blue sagt, fühle ich sehr. Ich habe auch immer große Angst davor, zu scheitern und kann mit dem Gefühl des Scheitern gar nicht umgehen. Echt traurig, dass einem das gesellschaftlich auch so anerzogen wird, denn man kann schließlich nicht immer alles perfekt machen und muss das auch gar nicht. Und sonst könnte man ja auch nie etwas neues lernen, dabei ist das doch eigentlich was schönes.

HighHopesInBlueSkys: Für mich ist Scheitern ein Gefühl von Versagen, das schnell den Selbstwert angreift und die Art des Umgangs mit sich selbst. Ich finde der Begriff „Scheitern“ ist so negativ behaftet, doch es fällt mir schwer einen positiveren zu finden. Ich kenne wie Blue und Mutsammlerin auch die Angst vor dem Scheitern. Es fing in gewisser Weise schon in der Schule an, obwohl ich immer eine gute Schülerin war. Ich konnte nie einschätzen, wie viel ich lernen muss, damit es reicht, um zu bestehen. Und wenn ich dann sicher war, dass es reichen wird, wurde es meistens ein „Sehr gut“ oder ein „Gut“. Schon damals habe ich mir viel Druck gemacht. Dieser Perfektionismus, der daraus entstand, zielte eigentlich nie auf Perfektion ab, sondern wollte nur das Scheitern um jeden Preis vermeiden. So entwickelte sich meine Neugier und Freude an Herausforderungen mit der Zeit zu einer Angst vor Neuem, denn ich könnte ja scheitern… Ich denke, dass die Gesellschaft und die Sozialisation einen großen Anteil an der so weit verbreiteten Angst zu scheitern haben. Dennoch bezieht sich bei mir diese Angst zu scheitern nicht nur auf den Leistungsbereich, sondern ich habe mit der Zeit die Angst zu scheitern in gewisser Weise auf fast alle Lebensbereiche bezogen: Ja keine Fehler machen, sonst bin ich angreifbar, sonst genüge ich vielleicht nicht mehr, sonst werde ich vielleicht abgelehnt oder verlassen, … Dies hat dazu geführt, dass ich eine sehr harte Haltung mir selbst gegenüber entwickelt habe, welche sehr schädlich für mich war. Ich habe inzwischen diesbezüglich viel gelernt und bin auch mir gegenüber viel weicher und freundlicher geworden, doch immer noch ertappe ich mich oft genug in durch Angst bedingter Härte mir gegenüber. Ich denke, dass wir auf jeden Fall einen anderen Umgang mit dem Thema Scheitern brauchen. Wir müssen wieder lernen, auch uns selbst gegenüber Freund zu sein. Und uns selbst bei einem Scheitern oder auch nur der Angst davor so zu begegnen, wie wir es auch gut befreundeten Menschen gegenüber tun würden. Ich würde mir in der Gesellschaft mehr Fehlerfreundlichkeit und Raum für Authentizität wünschen, sodass Entwicklung und Herausforderung wieder Spaß machen können und der Druck sich reduziert, der viele krank macht. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Vertrauen in uns selbst entwickeln, mehr (Selbst-)Mitgefühl, und dass „Scheitern“ statt zu „Futter“ für den inneren Selbstkritiker wieder mehr zu „Treibstoff“ für Entwicklung wird.

Bossi: Scheitern ist etwas, mit dem ich an sich eigentlich keine Probleme in meinem Leben habe, mit der Angst vor dem Scheitern jedoch schon. Falls ich Mal nach einer Entscheidung gescheitert bin, war es in der Regel nie ein großes Problem. Klar hat sich das Scheitern zunächst unangenehm angefühlt. Jedoch bin ich immer daran gewachsen, habe etwas gelernt oder bin auf welche Weise auch immer klüger geworden. Was mir jedoch große Probleme bereitet ist die Angst vor dem Scheitern. Oft halte ich mich Ewigkeiten damit auf, eine Entscheidung zu treffen, weil ich Angst habe, bei der getroffenen Entscheidung am Ende zu scheitern. Viel zu häufig steht mir dabei mein Perfektionismus im Weg, der mir beispielsweise Klausuren, Hausarbeiten oder Vorträge schieben lässt.
Letzten Endes muss ich aber feststellen, dass das genau das das Scheitern ist, das ich nicht mag und als Scheitern für mich bezeichnen würde, mit dem ich nicht umgehen kann, an dem ich nicht wachse, etwas lerne oder auf welche Weise auch immer klüger werde. Nämlich aus Angst vor dem Scheitern erst keine Entscheidung zu treffen, auf der Stelle stehen zu bleiben, nicht mehr weiterkommen.

Autor*in: Alle zusammen

Wir sind die Blogautor*innen von Lebensmutig. Wir schreiben über unsere Erfahrungen mit Selbsthilfe, über unsere Erkrankungen und Themen und über die Herausforderungen, die wir bewältigen. Manchmal diskutieren wir untereinander über Themen, die uns gerade auf den Nägeln brennen. Dann dokumentieren wir das unter diesem Profil in einem besonderen Beitrag.

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