Dickdarmlos: Für mich ist das (deutsche) Gesundheitssystem ein Fluch und Segen zu gleich. Im Vergleich zu anderen Ländern bin ich hier recht gut umsorgt, und muss mir um das Nötigste des Nötigsten zumindest keine Sorge machen – wie beispielsweise einen Hausarztbesuch oder ein Fahrt mit dem RTW.
Dennoch gibt es für mich viele, umfassende Schwierigkeiten im System, die von A wie Arzneimittel bis Z wie Zusatzversicherung reichen. Es ist viel zu viel, um es im gemeinsamen Monatsbeitrag alles anzureißen. Was aber schockierend sein sollte, dass ich als Patient unter dem System leide. Aufgrund von hohen Barrieren, Kosten, Inkompetenz und deren Folgen…

Buchstabenspielerin: Für mich stellt sich bei diesem Thema zunächst die Frage, ob das Gesundheitssystem überhaupt für meine Behinderung und meine psychische Erkrankung zuständig ist. Leide ich darunter? Hab ich etwas zu erwarten? Hilft es mir?
Wenn ich so überlege: Legasthenie bzw. Dyskalkulie sind nicht heilbar, dazu hat die Forschung immer mehr Belege. Man kann es zwar nie ganz „loswerden“, aber sich auf seinem Niveau verbessern. Dafür gibt es Therapieansätze, die aber oft mit hohen Kosten verbunden sind. Die Kosten übernimmt das Jugendamt meine ich erst, wenn aufgrund der Teilleistungstörung auch eine seelische Gefährdung droht. Wenn es schon zu spät ist. Ganz schön blöd. Bei Depressionen (ob sekundär wegen der Legasthenie bzw. Mobbing/ Schulangst oder aus anderen Gründen) ist die „Versorgungslage“ ebenso eklatant. Die zuständige Stelle meint, der Bedarf sei ausreichend gedeckt. Mit nichten! Man wartet bis zu 6 Monate bis einem geholfen wird. Währenddessen leiden die Menschen und siechen im eigenen Saft. Andererseits zahle ich, einmal gefunden, nichts (abgesehen von Steuern) für meine sehr hilfreiche Psychotherapie.

Visionärin: Meine Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem sind ziemlich unterschiedlich. Wenn du eine „gute Patientin“ bist und alles was die Ärzte sagen genauso umsetzt, ohne diese kritisch zu hinterfragen, dann ist alles schick. Aber wenn man wie ich eine eigene Meinung zu Medikamenten oder Behandlungen hat, dieses auch noch kritisch hinterfragt, kann es schnell ungemütlich für mich werden. Dann kommen schnell mal Aussagen wie: „Ich bin der Arzt und wenn ich es Ihnen sage, Sie müssen dieses Medikament nehmen, dann ist das auch so.“ Wenn ich dem Arzt aber sage, dass ich dieses Medikament ablehne, entweder wegen Nebenwirkungen, die ich befürchte, oder weil ich tatsächlich schon Nebenwirkungen dabei hatte, wurden meine Sorgen nie ernstgenommen. Mitlerweile habe ich mir angewöhnt, den Arzt danach zu fragen, ob er dieses Medikament auch nehmen würde. Da sah es dann schnell ganz anders aus. Seitdem kann ich mit meinen Ärzten anders über Medikamente, Wirkungen, Wechselwirkungen und Nebenwirkungen sprechen. Oft gehe ich dann tasächlich ohne Rezept wieder aus der Praxis. Was ich auch nicht schlimm finde. Oft geht es mir überhaupt nicht um ein Medikament, sondern um das Reden darüber, wie es mir gerade geht und wie es erträglicher wird. Egal ob es sich um meine psychischen Beeinträchtigungen handelt oder um körperliche Erkrankungen.

Buchstabenspielerin: Dass es dir oft nur um das Reden geht und dabei gehört und ernst genommen werden wichtig ist, ist sogar erforscht und hat einen ernsthaften Effekt. Das wünsche ich mir auch als Otto Normal-Patientin – also als jemand, der nicht überhäufig einen Medizinier braucht oder spezielle (körperliche) Erkrankungen hat. Als Wunsch formuliert: bessere Entlohnung und mehr Zeit für Gespräche, wo man auch ernst genommen wird.

Giraffe: Im Allgemeinen bin ich mit unserem Gesundheitssystem schon zufrieden und bin froh, dass ich nicht in angloamerikanischen Gebieten wohne, wo es wenig staatliche Gesundheitsleistungen gibt. Das heißt natürlich nicht, dass auch hier einiges kritisiert werden kann. So finde ich es ungerecht, dass berufstätigen Behinderten, die Betreuung benötigen, nur ein geringer Selbstbehalt ihres Einkommens bleibt, so dass sich für diese Personen eine Arbeit oft gar nicht lohnt. Auch finde ich es unlogisch, dass ich für meine ambulanten logopädischen Behandlungen für jede Verordnung rund 90 Euro zuzahlen muss, wogegen diese Leistungen in einer Tagesklinik völlig kostenlos sind. Obwohl das für die Krankenkasse deutlich teurer ist.
Hilfreich fände ich auch, wenn Eigeninitiative mehr gefördert wird und nicht diejenigen belohnt werden, die passiv alles über sich ergehen lassen. Da sind wir mit der Förderung der Selbsthilfegruppen auf dem richtigen Weg.

Bossi: Ich persönlich hatte bisher keine großen negativen Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitssystem. Klar waren einige Besuche bei Ärzten und der damit verbundene Spießrutenlauf von einem Facharzt zum anderen nervig und unangenehm, genau so wie die Tatsache, dass sehr häufig wenig Zeit für mich und meine Belange genommen worden ist. Jedoch bin ich alles in allem froh, in einem Land zu leben, in dem ich mich auf die Gesundheitsversorgung verlassen kann und mir nicht die Frage stellen muss, ob ich mich zugunsten meiner Gesundheit hoch verschulde.

Autor*in: Alle zusammen

Wir sind die Blogautor*innen von Lebensmutig. Wir schreiben über unsere Erfahrungen mit Selbsthilfe, über unsere Erkrankungen und Themen und über die Herausforderungen, die wir bewältigen. Manchmal diskutieren wir untereinander über Themen, die uns gerade auf den Nägeln brennen. Dann dokumentieren wir das unter diesem Profil in einem besonderen Beitrag.

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