»So jemanden wie dich kann man nicht gebrauchen«, war die Rückmeldung nach einem Praktikum vor einigen Jahren. »Ruhige Menschen werden schnell unterschätzt. Für dich wird es sicherlich später sehr schwierig einen Job zu finden«, war die Rückmeldung nach einem anderen. Deutlich freundlicher, aber auch nicht gerade Mut machend. Riesig groß war dadurch die Angst vor meinem FSJ hier in Bulgarien. Ein ganzes Jahr in einer Institution, mit den selben Kolleginnen. Wie schnell werden sie meine Ängste bemerken? Wie schnell werden sie es bereuen, mich genommen zu habe? Wie stark werden mir die Ängste im Weg stehen? Und was mache ich, wenn ich darauf angesprochen werde? Darf ich dann ehrlich sein oder würde ich dann nur als psychisch krank abgestempelt werden?
Ich versuche wirklich mein bestes, um die Ängste bei der Arbeit beiseite zu schieben. Ich gehe über meine Angstgrenzen hinaus und merke, dass ich auch angstbesetzte Situationen lebendig überstehen kann. Wenn mein Telefon klingelt bleibt mein Herz kurz stehen, aber auch das wird langsam etwas einfacher. Nach einem halben Jahr war es dann soweit, dass meine Chefin das Gespräch mit mir suchte und wir über meine Ängste gesprochen haben. Was mich überraschte war die Aussage, dass sie sich gewünscht hätte, dass ich es schon früher angesprochen hätte. Für mich war der Zeitpunkt, an dem sie mich darauf angesprochen hatte, so aber ganz gut, denn nach einem halben Jahr hatte ich genug Vertrauen, um auch ehrlich zu erzählen, was mir Schwierigkeiten bereitet. Das Gespräch tat mir ganz gut, denn ich musste mich nicht mehr ständig fragen »Wissen sie es wohl?« und ich hatte das Gefühl, verstanden zu werden. Als der Institutsleiter später zu mir kam und mir sagte, es sei gut und sehr reif von mir, so offen über meine Ängste im Internet zu schreiben, brach trotzdem kurz Panik in mir aus, welche sich durch sein »Ist alles gut so wie es ist« wieder etwas legte.
In den letzten Wochen häuften sich leider die Situationen, in denen mir die Ängste stark im Weg standen. In einer Besprechung war ich die einzige, die es beim Abschlussblitzlicht nicht geschafft hat, etwas zu sagen. Bei einem Festival konnte ich der Jurorenaufgabe nicht nachkommen, einen Preis zu verleihen, denn da hätte ich spontan vor vielen Menschen etwas sagen müssen. Solche Situationen ärgern mich sehr, denn ich möchte mich nicht von den Ängsten einschränken lassen, aber manchmal sind die Ängste leider doch (viel) stärker als mein Wille. Bald wartet eine Aufgabe auf mich, die auch beinhaltet eine Minute lang vor Publikum zu sprechen. Es war ein starker Kampf in mir zwischen dem Willen, es zu schaffen, den Ängsten und der Befürchtung, es nicht zu schaffen. Diesen inneren Kampf schrieb ich auch der zuständigen Kollegin und hatte große Angst vor ihrer Reaktion. Total umsonst, wie ich später merkte. Sie war total verständnisvoll und hat mich sehr ermutigt, meinen Willen gegenüber den Ängsten siegen zu lassen. Sie möchte sich sogar Zeit für mich nehmen, um die Situation vorher einmal durchzuspielen und mir ein bisschen mehr Sicherheit zu geben.
An dem Tag ist mir noch mal stark bewusst geworden, wie dankbar ich sein kann, während meiner Zeit hier in einem so verständnisvollen und hilfsbereiten Umfeld zu sein. Das waren nur einige Momente von noch viel mehr offenen und hilfreichen Gesprächen mit Kolleginnen, die mir Kraft schenken, um trotz meiner Ängste gut durch das Jahr zu kommen. Was ich aber vor allem auch gemerkt habe ist: Es lohnt sich ehrlich zu sein und Schwierigkeiten zuzugeben, denn nur dann kann man Hilfe bekommen und auf Verständnis stoßen.
Autor*in: Mutsammlerin
An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.
Liebe Mutsammlerin,
ich verfolge deine Beiträge schon seit einer Weile.
Und wenn ich sie so lese, sehe ich da keine angsterfüllte junge Frau vor mir, sondern ganz im Gegenteil eine sehr mutige, willensstarke Frau, die ihren Weg geht. Die nicht vor den Ängsten davon läuft, sondern immer wieder aufsteht und sich ihnen entgegenstellt. Für mich ist DAS wahrer Mut!
Und toll, wenn du dabei Menschen begegnest, die dich dabei unterstützen.
Viel Kraft und Erfahrungen weiterhin bei deinem Auslandsjahr.
Liebe Lira, vielen herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar. Der hat mir ein großes Lächeln ins Gesicht gezaubert und mir viel Mut geschenkt. Danke!
Was Lira schreibt hat mich auch sehr berührt, denn besser hätte ich es nicht in Worte fassen können. Du bist so stark Mutsammlerin! Auch wenn Deine Ängste Dir manchmal etwas anderes vorgaukeln wollen! Was Du tagtäglich an inneren und äußeren Hürden meisterst, daran würde so mancher verzweifeln. Aber hier bist Du, immer noch auf Deinem Weg und Teil einer Autor*innengruppe, die offen und ehrlich über ihre Schwierigkeiten bloggt. Ich freue mich immer wieder, dass Du dabei bist. :-*
Ich finde es so klasse, dass du einen ehrlichen Umgang mit deinen Ängsten gefunden hast. Ich kenne es selber von meiner Ausbildung, dass ich ständig veruscht habe ( und noch versuche ) mich vor meinen Kollegen zu verstecken. Nicht nur meine Ängste, sondern auch meine Wut und meinen Ärger über manche Dinge.
Mitllerweile habe ich gelernt es so zu sehen, das mich zu zeigen auch ein Test für mich ist. Ich kann dann sehen, welche Menschen mir gut tun und welche nicht. Ehrlich zu sein, das hat mir dann auch bei der Wohnungssuche nach einer passenden WG extrem geholfen.
Lieber Chris, vielen Dank für deine Worte. Das klingt, als hättest du einen guten Umgang damit gefunden. Das freut mich 🙂
Wow! Dein Umgang mit deinen Ängsten ist echt klasse! Dir ist bewusst, welche einschränkende Macht die Ängste haben können und du stehst dagegen auf und kämpfst dagegen an. Das motiviert mich! Ich gehe ähnlich mit meinen Ängsten um, aber manche Situationen (gerade im Job) meide ich auch, weil ich mich vor den Rückschlägen fürchte, wenn ich die Situation dann nicht schaffe. Ich versuche kleine Schritte zu machen, das gibt mir Sicherheit. Ehrlichkeit war mir aber auch von Anfang an sehr wichtig. Ich wusste zum Glück, dass meine Kolleginnen alle sehr verständnisvoll sein würden und so ist es auch. Niemand nimmt mir übel, wenn ich etwas nicht machen kann. Aber dafür müssen sie natürlich wissen, was mir Schwierigkeiten bereitet. Ich möchte alle ermutigen, die mit Ängsten zu kämpfen haben: Sprecht sie an! Angst wird nicht kleiner, wenn sie ignoriert wird. Das hab ich versucht, klappt nicht…
Danke für deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass du auch sehr verständnisvolle Kolleginnen hast. Das ist so wichtig. Und da hast du recht: Damit sie Verständnis haben können müssen sie von den Schwierigkeiten wissen. Dann kann man es ja auch viel besser einordnen, wieso man manche Sachen nicht machen möchte/kann. Deine Ermutigung kann ich nur unterschreiben.
P.S.: toll, dass Du trotz Deiner Ängste so schöne Erfahrungen auf der Arbeit machen konntest! Die sind echt Gold wert und können hoffentlich dazu beitragen, dass die Ängste bei der nächsten Arbeit noch etwas kleiner werden.
Herzlichen Dank für deine lieben Worte! Gerade liege ich zweifelnd auf dem Sofa – da kamen deine berührenden Worte genau im richtigen Moment, um mir wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern 🙂
Ich hab dich ganz doll lieb.
Ich schließe mich den anderen an.
Ich bin sehr froh, dich zu kennen, liebe Rainbow 🙂