Wer mich kennt, würde mich vermutlich als recht selbstsicher einstufen. Aber bin ich das wirklich? Oft nicht. Ja, ich stehe zu meiner Meinung. Ich kann gut mit und vor Menschen arbeiten, aber sobald ein Funken Unsicherheit in mir hochkommt, bricht dieses „Sicherheitsgerüst“ um mich herum weg. Mein Puls rast in die Höhe. Ich fang an zu zittern und zu schwitzen. Mein Gesicht wird knallrot und teils werde ich im Brustbereich fleckig. Gerade in der Uni passiert dies häufig: Bei Referaten, Lehrproben und sogar bei einer simplen Meldung. Es sind Ängste. Vor allem basierend auf meiner Schullaufbahn: Mobbing, Demütigung durch Lehrer, kleinere Misserfolge, das fehlende Zugehörigkeitsgefühl.

Doch wie ist es nun im Online-Semester?
Kein bisschen besser, vielleicht ein wenig anders. Ich überlege 3x öfter ob ich etwas sagen möchte oder nicht. Neulich sollten wir uns nach einem Konflikttypentest melden, um den anderen mitzuteilen, welchem Typ wir angehören. Ich habe mich nicht gemeldet. Ich hatte Angst. Angst zu lesen. Denn die erste Person, die von der Dozentin dran genommen wurde, sollte das Ergebnis (ca. 2 bis 3 einfach Sätze) vorlesen. Vorlesen ist für mich seit der Grundschule schwierig und seit der 8. Klasse ein tiefrotes Tuch, dem ich nicht mal nahekommen möchte. Es ist eine absolut irrationale Angst, weil ich lesen kann und das weiß. Aber diese Angst hatte eine Schullaufbahn lang Zeit sich zu manifestieren. Es kommen sofort Gedanken in meinen Kopf geschossen „Was passiert, wenn du dich verliest? Was ist, wenn du nur stammelst und keinen einzigen Satz vorlesen kannst?“. Vermutlich würde nichts passieren. Vermutlich würde ich nicht einmal so schlecht lesen. Aber mit Sicherheit würde ich in diesem Rahmen, mit diesen Ängsten im Nacken, „schlechter“ lesen als ich normalerweise lesen kann und schlechter als eine Vielzahl meiner Kommilitonen. Eigentlich vollkommen egal, aber mit der Angst im Nacken braucht es viel Kraft vorzulesen.
Viele verstehen nicht, wie man vor so simplen Dingen Angst haben kann. Noch mehr Menschen wissen gar nicht, dass es für mich so schlimm ist. Ich umgehe das Problem „Vorlesen“ meist elegant. Ich melde mich nicht, ich trinke oder esse etwas, ich lasse andere Texte meines eigenen Referats vorlesen o.ä. Not macht erfinderisch und nur, wenn ich es nicht verhindern konnte, lese ich selbst vor – was eigentlich nie vorkommt.
Die Angst betrifft leider auch Meldungen, bei welchen ich nichts vorlesen muss. Ich nehme gerne aktiv am Geschehen teil – online wie offline. Doch auch da zeigen sich körperliche Reaktionen und ich zittere meist Minuten später noch. Ich habe das Gefühl, dass Meldungen mir online viel schwerer fallen. Das Zittern ist viel extremer und ich kann etwa 10 Minuten kaum schreiben, geschweige denn etwas mit dem Textmarker markieren. Ich bin froh, wenn es wieder Präsenzsemester gibt und zumindest das Zittern nach einer Meldung wieder geringer ausfällt. Natürlich sieht dies im Online-Semester niemand, aber es behindert mich einfach beim Mitarbeiten.
Der einzige Vorteil am Online-Semester was meine Ängste betrifft: Niemand sieht meine körperlichen Reaktionen. Niemandem kann bemerken auf welchen Stresslevel sich mein Körper gerade befindet. Und niemandem muss ich erklären, warum ich so zittere.

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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