Selbsthilferaum

Dass es mir gut tut, mich mit Menschen auszutauschen, habe ich schon vor mehreren Jahren gemerkt – allerdings nur online, wo man sich schriftlich verständigen kann und nicht sprechen muss. Eine meiner ehemaligen Therapeutinnen hat mir mal empfohlen, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen. Erst da wurde das Thema in mir wirklich präsent. Doch ich hätte mich niemals getraut.

Das erste Mal zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen, stellt wohl jeden vor eine große Herausforderung. Und auch das zweite, dritte, … und fünfzigste Mal kann auch schwierig sein. Doch durch meine sozialen Ängste war es für mich noch schwieriger. In meiner Stadt gibt es eine Gruppe für Sozialphobiker. Ich habe mir die Homepage bestimmt zwanzig mal angeschaut, doch hinzugehen hätte ich nicht geschafft. Irgendwann habe ich auf Facebook einen Post gesehen, dass es bei der Selbsthilfekontaktstelle meiner Stadt bald eine neue Gruppe geben wird. Eine Depressionsgruppe für junge Erwachsene. Das hört sich doch gut an. Wenn alle neu sind, macht es das zumindest ein kleines bisschen einfacher und ich wusste, entweder ich schreibe dort eine Mail hin und gehe zu dem ersten Treffen oder ich kann das Thema Selbsthilfe für mich ganz abhaken. Und tatsächlich: Anfang 2017 habe ich es dann geschafft, zu dem ersten Treffen hinzugehen. Danach zu dem zweiten. Zu dem dritten. Und so weiter.

Wie war das erste Treffen?

Es war schwierig. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, ich konnte kaum Atmen und kaum Sprechen. Wir waren 3 Leute plus eine Frau von der Kontaktstelle. Die anderen beiden waren Freundinnen. Na toll, da bin ich also doch die Neue, dachte ich mir, aber durch deren Verhalten war es irgendwie okay. Schlimm war nur die Kontaktstellen-Frau. Nachdem wir allgemeine Sachen wie „Was ist gutes Zuhören?“ besprochen haben, ist sie zum Glück mit den Worten „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute mehr sprechen, wenn ich draußen bin“ – warum bloß – raus gegangen und kam erst wieder am Ende für eine Abschlussrunde rein. Nachdem ich bereits zuvor gesagt habe, wie schwer es mir fällt, vor anderen Menschen zu sprechen, sagte diese Frau in einem unangenehm auffordernden und beengenden Ton zu mir: „Ich frage mal als erstes dich, was du dazu zu sagen hast.“ Natürlich habe ich nichts gesagt und war einfach nur froh, dass sie nur beim ersten Mal mit dabei war.

Ist das die richtige Gruppe für mich?

Das ist eine Frage, die ich mir sehr häufig gestellt habe. Und immer noch keine wirkliche Antwort darauf habe. Vor allem habe ich mich häufig gefragt, ob ich thematisch überhaupt da rein passe, schließlich sehe ich meine Hauptprobleme vor allem in der Angststörung (und wenn dann noch in der Essstörung) und die Depressionen sind nur die Beilage. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das ziemlich egal war. Schließlich haben wir vor allem über die Dinge gesprochen, die hinter den Symptomen stecken und da gab es viele Gemeinsamkeiten. Oder auch nicht und das war auch okay.

Wie geht es weiter?

Schon Monate vor meiner Ausreise nach Bulgarien, bin ich nicht mehr zur Gruppe gegangen. Irgendwie habe ich gemerkt, dass ich mich dort unwohl fühle. Statt der Treffen im geschützten Selbsthilferaum fanden – wenn nicht wie so häufig kurzfristig abgesagt wurde – vor allem Treffen in Cafés und Kneipen statt. Das hätte mir nicht gut getan und die Angst nur verschlimmert, deshalb habe ich nach vielem hin und her überlegen entschieden, nicht mehr hinzugehen. Ich nehme trotzdem viel positives aus dem Jahr mit. Es hat mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben, einen Raum und eine Gruppe an Menschen zu haben, denen ich mich mitteilen kann oder auch einfach nur zuhören. Und auf jeden Fall hat es mir die Angst vor der Selbsthilfe genommen, so dass es in einem Jahr, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin, in einer fremden Stadt zum Studieren, vielleicht einfacher sein wird, den ersten Schritt zu wagen und eine neue Gruppe für mich zu entdecken.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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