Höhen und Tiefen

Das Jahr neigt sich so langsam dem Ende zu und man wird von allen Seiten mit Jahresrückblicken bombardiert. So dachte ich mir mal selbst auf dieses Jahr zurückzublicken.

Wohnsituation

Ich wohne nun seit einem Jahr in einer betreuten Wohneinrichtung in einer WG. Der Anfang war mit viel Terror durch einen meiner Mitbewohner geprägt. Ich habe sehr darunter gelitten und musste feststellen das viele Ängste durch diese Aktionen reaktiviert wurden. Jeden Tag musste ich auf der Hut sein um zu sehen ob wieder irgendetwas seitens meines mittlerweile ehemaligen Mitbewohners kommt. Aber schnell konnte ich agieren und meine Not der Betreuung melden. Das war der erste Fortschritt den ich gemacht habe. Ich bin für mein Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit eingetreten und es schien sich anfangs sogar zu bessern. Bis nach einigen Wochen der Terror weiterging und andere Ausmaße angenommen hat. Wieder sprach ich bei der Betreuung meine Sorgen an und es wurde schnell gehandelt und besagter Mitbewohner musste die WG verlassen. Meine Angst aber blieb noch Monate lang.

Ich hatte immer mehr Angst das Haus zu verlassen, er könne ja vor dem Haus auf mich warten und irgendetwas tun. Laut meiner Sicht war er unberechenbar und schien sich keiner Schuld bewusst.

Dabei ertappte ich mich Verständnis für ihn aufzubringen, er hat ja schließlich selbst seine Erkrankung. Das ist in meinen Augen einer meiner Fehler, nämlich für alle Verständnis aufbringen zu müssen und mich dann dafür verantwortlich zu machen.

Arbeit

Anfang diesen Jahres begann ich meine arbeitstherapeutische Maßnahme in einer Montagehalle um wieder Struktur in meinen Alltag zu bekommen. In kleinen Schritten erhöhte ich meine Arbeitszeitszeiten und bemerkte wie gut es tat wieder einer Tätigkeit nachzugehen. Nach einiger Zeit bemerkte ich aber, dass ich mehr kann und mich dort unten unterfordert fühlte.

Also wechselte ich nach ca. einem halben Jahr in das Restaurant welches auch als Tagestruktur dient. Am Anfang direkt beflügelt von der Energie alles schaffen zu können überschätze ich mich schnell und bin in eine Krise gerutscht, wobei dann nach 3 Wochen im Restaurant für mich Schluss war.

Daraufhin folgte ein Klinikaufenthalt zur Krisenintervention und direkt im Anschluss meine schon angedachte Rehabilitation. Mittlerweile bin ich wieder in dem Restaurant und erhöhe Schrittweise meine Arbeitszeiten und darf auch nicht mehr flexibel arbeiten, da ich wieder in ein altes Muster falle und mich überarbeite. Ich bin in Rücksprache mit der Arbeitstherapeutin und meiner Betreuerin und so klappt das Arbeiten ganz gut.

Selbsthilfegruppe

Seit Anfang des Jahres (so kommt es mir vor) besuche ich auch eine Selbsthilfegruppe für meine Suchterkrankung und muss sagen das ich sofort überrascht von der Dynamik der Gruppe war und gerne regelmäßig hingehe, die Gruppe hat mich gut aufgenommen und hat immer ein offenes Ohr, auch wenn es mal nicht um konkrete Suchtprobleme geht. Ich hatte viel Raum um über meine Essstörung und meiner Borderline Störung zu reden. Ich habe immer weniger das Gefühl zu viel Raum einzunehmen und gestatte es mir auch Raum einzunehmen ohne mich schlecht zu fühlen.

Ich bin jetzt im Januar 1,5 Jahre abstinent von Cannabis und mittlerweile auch fast 3 Monate abstinent von Alkohol. Was den Suchtdruck durch Cannabis angeht, den habe ich fast gar nicht mehr und kann mich auch gut von ihm lösen. Bei Alkohol fällt es mir immer wieder schwer und aktuell leide ich auch wieder vermehrt darunter. Aber ich bleibe standhaft.

Soziales Netz

Im Juli lernte ich auch jemanden kennen, sie zähle ich mittlerweile zu meiner besten Freundin. Auch mit ihr gab es Höhen und Tiefen, nicht durch Streit herbeigeführt, sondern viel mehr, weil wir uns oft gegenseitig getriggert haben, wenn es uns ziemlich schlecht ging. Wir haben für uns Regeln gefunden um die Freundschaft auf gesundem Maß zu leben und ich bin froh wenn wir Zeit miteinander verbringen können und über alles reden können. Eine Zeit lang lief es richtig gut sodass wir unsere Regeln außer Acht gelassen haben und wieder nicht auf unsere Innere Stimme oder unsere Bedürfnisse gehört haben. Wir haben uns jetzt wieder ins Gedächtnis gerufen wie es funktionieren kann und versuchen wieder unsere Regeln zu integrieren. Ich bin echt froh einen solchen Menschen gefunden zu haben mit dem man über lustige, ernste und teils auch schwachsinnige Themen reden kann.

In der Reha lernte ich auch meinen Partner kennen. Ich dachte nicht das das war wird, weil es krankheitsbedingt von meiner Seite wieder genauso angefangen hat wie es immer anfängt. Direkt alles idealisieren und Zukunftspläne schmieden obwohl man gerade mal 2 Nachrichten ausgetauscht hat. Ich habe immer wieder Verlustängste und mache mir unnötige Gedanken die alles in Frage stellen einfach aus der Angst etwas falsch zu machen oder einfach aus der Angst heraus weil es Real geworden ist. Ich bin aber froh ihn gefunden zu haben und bin sehr glücklich mit ihm.

Wir verstehen uns gut haben den selben Humor und er gibt mir nicht das Gefühl kaputt zu sein, auch wenn ich das oft denke. Er akzeptiert mich wie ich bin und ich glaube er sieht den Menschen der ich bin. Auch wenn ich oft Angst habe zu viel zu sein oder ihn zu überfordern glaube ich ihm wenn er mir sagt das es nicht so ist.

Meine Mutter hat in letzter Zeit viel kämpfen müssen weil es ihr gesundheitlich nicht so gut geht und sie im Krankenhaus ist, Schmerzen hat und mehrmals operiert wurde. Ich muss sagen das erste mal habe ich sofort Angst bekommen als sie operiert worden ist, weil das letzte was ich mit dem Krankenhaus verbinde ist der Tod meiner Oma und das ist immer noch ein schwieriges Thema für mich. Aber ich unterstütze meine Mutter mit täglichen Anrufen um ihr so eine Stütze zu sein. Vor ein paar Tagen sagte sie mir: „Ich bin froh wenn du anrufst, bei dir darf ich weinen“ und das freut mich. Ich muss sagen hier und da belastet es mich weil meine Mutter starke Schmerzen hat und jetzt mit dem Verlust ihres Fußes leben muss. Aber ich glaube wir gehen gestärkt aus der Sache heraus. Zusammenhalt ist hier ganz wichtig und ich glaube das tun wir in unseren Möglichkeiten alle.

Fazit

Ich muss sagen das Jahr war voller Höhen und Tiefen. Einige schöne Momente, aber auch einige schlechte. Aber ich glaube ich habe noch nie so viel gelernt wie in diesem Jahr und dafür bin ich dankbar.


Ich hoffe ihr habt alle euer Jahr gut rum bekommen und ihr startet gut ins Neue Jahr.

Autor*in: Blue

Das wird ein Kampf, ein Kampf um meine Gesundheit, ein Kampf um eine glückliche Zukunft und ein zufriedenes Leben. Diesen Kampf kämpfe ich gerne... zumindest die meiste Zeit.

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