Visionärin: ich höre die Leute immer sagen, ich möchte so gerne so sein, bevor ich erkrankte. Bei bestimmten Diagnosen mag dies bestimmt auch ein guter Wunsch zu sein, aber bei Menschen mit psychischen krisenerleben? Mir kam da nie der Gedanke. Ich frage die Personen immer, was sie alles gemacht haben, bevor sie in ihre Krisen/Erkrankungen geraten sind und was alles davon dazu beigetragen hat, dass sie erkrankten. Ich finde den Gedanken viel schöner zu gucken, was kann ich aus meinem ist-Zustand verändern. Wenn ich nicht erkrankt wäre, hätte ich zum Beispiel niemals so viele tolle Menschen kennengelernt. Ist es nicht eine schöne Vorstellung sich immer verändern zu können?

N Blue: so wie früher sein, vor der Erkrankung? Keine Ahnung, wenn ich zurückblicke, sehe ich keine Zeit, in der ich nicht erkrankt war. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten im Umgang mit anderen und mir selbst. Ich schließe mich Visionärin an, ich versuche etwas zu ändern, nämlich so, um mit meiner Erkrankung zu leben. Mein Leben und Verhalten so zu ändern damit ich mein Leben als Lebenswert erachte und glücklich werden kann. Veränderung ist gut, auch wenn es seine Zeit braucht und der Weg steinig ist, wir ändern uns jeden Tag und wenn wir das große Ganze anschauen werden wir bemerken, dass sich so viel geändert hat und noch ändern wird. Auch wenn wir es nicht immer in der Hand haben wir können es unsere Gegenwart beeinflussen, um unsere Zukunft zu lenken. Also nein, ich wäre nicht gerne so wie früher, ich wäre gerne so wie ich es sein werde, wenn ich das alles hinter mir habe und mich zurück in ein gesundes Leben gekämpft habe.

HighHopesInBlueSkys: Die Frage von Visionärin „Ist es nicht eine schöne Vorstellung, sich immer verändern zu können?“ hat mich berührt und zum Lächeln gebracht. Ja, ich bin froh, dass das Leben nicht stillsteht und dass Veränderung möglich ist. Wenn ich mich beobachte und auf meine Lebensgeschichte zurückblicke, hat sich schon viel verändert und habe ICH MICH verändert – und das laufend. Ich sehe Veränderung als was Gutes und Wertvolles. Es ist bei weitem nicht immer leicht und schön, kann sogar sehr schwer und schmerzhaft sein, und doch habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich daraus wachse und reife. Und obwohl ich wirklich sehr viel inneres Leid kenne, würde ich nicht wieder der Mensch von früher sein wollen. Denn ich bin viel bewusster, achtsamer, aufmerksamer und liebevoller geworden. Und ich kann durch meine Erfahrungen andere, die auch verschiedenes Leid tragen, viel besser verstehen und weiterhelfen. Obwohl ich mich oft schwach fühle, bin ich eigentlich ziemlich stark. Was ich vielleicht gerne würde, wäre es, nachträglich manche Weichen anders zu stellen und auf manches anders zu reagieren. Aber vieles, was ich früher nicht konnte, kann ich dafür jetzt. Und ich finde es so eine wichtige Erfahrung, wertvoll zu sein, mit allem was man ist und mit sich trägt.

Buecherwurm: Als ich krank wurde, habe ich mein altes ich unwahrscheinlich vermisst. War da doch alles so „leicht und problemlos“ ich wollte einfach wieder Funktionieren. Mich nicht mit meinen Problemen auseinandersetzen und schon gar nicht krank sein. Ist ja schließlich alles nicht so schlimm. Heute, 3,5 Jahre später kann ich sagen, um Gottes willen, was ich bin froh, dass alles so gekommen ist wie es gekommen ist. Ich war früher sehr schüchtern und zurückhaltend, dies ist mittlerweile anders. Aber auch beruflich, wäre ich vermutlich in die komplett falsche Richtung gelaufen. Was sich auch stark verändert hat, ich bin (noch) empathischer geworden, habe mehr Verständnis für andere Erkrankungen, klar spielt da auch das Forum eine Rolle. Und ganz wichtig, ich habe durch die Erkrankung auch den Weg in den Blog gefunden und bin unendlich dankbar, so tolle Menschen kennengelernt zu haben. Auch habe ich so das Schreiben für mich wiederentdeckt. Ich denke, viele Dinge passieren aus guten Gründen und so war es auch bei der Krankheit und mir. Ich denke es war ein Weckruf der besonderen Art, der mich einfach vor Fehlentscheidungen schützen sollte. Ich habe mir so in den letzten Jahren viel Zeit für mich genommen und kenne mich nun wesentlich besser als vor der Krankheit. Klar, hat Corona mir auch noch Zeit verschafft, weil vor gut 1,5 Jahren das Leben ja quasi runtergefahren wurde und ich mir sagte, jetzt hast du noch extra Zeit, es läuft ja gerade eh nichts. Du brauchst dich nicht hetzen. Und darum bin ich froh, weil ich sonst vermutlich viel zu früh wieder ins Berufsleben eingestiegen wäre.

Buchstabenspielerin: Als zum ersten Mal die Aussage kam: „Du bist nicht die alte Buchstabenspielerin, ich will die Alte zurück.“ Dachte ich mir: „Ich auch. Warum zum Teufel geht das nicht einfach?!“ Aber im Laufe meines Heilungsprozesses merkte ich, dass das nicht der richtige Weg ist. Mit dem Gedanken komme ich nicht voran. Ich will nicht zurück, ich will stärker werden. Meine lieben Mitblogger*innen haben schon so viele wahre Dinge gesagt, denen ich mich anschließen will. Ich kann endlich andere mit Depressionen wirklich verstehen und die Legasthenie befähigt mich dazu, mich in andere Lern- und Denkwege hineinzuversetzen. Ich bin liebevoller zu mir selbst geworden – so nett war ich noch nie zu mir. Gleichzeitig habe ich nie zuvor solche Tiefen gekannt. Als Kind wusste ich schon, dass Schatten ohne Licht nicht existieren kann und umgekehrt. Jetzt kenne ich eine andere Qualität von Schatten. Trotzdem kam ich da bis jetzt immer heraus. Das ist krass. Diese Erfahrung gehört jetzt zu mir. Ein Leben ohne Legasthenie will ich auch nicht! Sie war schon immer da, prägt mein Denken und mein Leben zu tiefgreifend. Einige wunderbare Menschen und einige meiner besten Freunde kenne ich nur dadurch. Die Depression darf wieder gehen. Aber wenn ich hindurchgegangen bin, dann ist das besser. Diese Hoffnung habe ich mir errungen. Denn an die Oberfläche gespülte Dinge, die schon immer in mir schlummerten, kann ich endlich bearbeiten! Ich schau nach vorn, nehme diese Herausforderung an und will nicht zurück.

Autor*in: Alle zusammen

Wir sind die Blogautor*innen von Lebensmutig. Wir schreiben über unsere Erfahrungen mit Selbsthilfe, über unsere Erkrankungen und Themen und über die Herausforderungen, die wir bewältigen. Manchmal diskutieren wir untereinander über Themen, die uns gerade auf den Nägeln brennen. Dann dokumentieren wir das unter diesem Profil in einem besonderen Beitrag.

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