Mutsammlerin hält Hund an der Leine

Ich bin spät dran, muss schnell zu meinem Fahrrad und zur Uni fahren, um nicht zu spät zu kommen. Ich renne die Treppe runter, bleibe erstarrt stehen und mache doch wieder kehrt. Da sitzt ein Hund im Treppenhaus. Ein großer Hund. Alleine, ohne Besitzer*in in Sicht. Die Vorstellung an dem Hund vorbeigehen zu müssen, lässt meine Knie schlottern und mein Herz hämmern. Todesängste, als würde kein Hund vor mir sitzen, sondern ein Tiger, der sich mich als nächste Mahlzeit ausgewählt hat.

Wenn ich draußen spazieren gehe, wechsel ich regelmäßig die Straßenseite, um nicht an den Hunden vorbeigehen zu müssen.

Die Ängste sind schon seit meiner Kindheit in mir. Ich hatte nie wirklich Kontakt zu Tieren und begegne diesen deshalb mit sehr viel Unsicherheit und Misstrauen. Vielleicht spielt dabei auch eine große Rolle, dass mir von klein auf von meinem Umfeld vermittelt wurde: »Achtung, da ist ein Hund. Komm an die Seite und pass auf.«

Wenn nicht gerade ein Hund in meinem Treppenhaus sitzt, schränkt mich diese Angst in meinem Alltag kaum ein. Dann wechsel ich halt die Straßenseite oder warte, bis die Straße wieder Hunde-frei ist. In Bulgarien war das etwas anders: Straßenhunde, die plötzlich aus einer Seitenstraße gerannt kommen oder einem hinterherlaufen. Während des Jahres kam es regelmäßig vor, dass ich von Angstgefühlen überfallen reglos draußen stand, in jeder Straße ein Hund und mit dem panischen Gedanken im Kopf: »Ich werde niemals lebendig nach Hause kommen.«

Mit dem kleinen Matt gründe ich eine Selbsthilfegruppe für soziale Ängste.

Am Wochenende fand ein Treffen von Junge-Selbsthilfe-Aktiven in Berlin statt. 15 Menschen und ein Hund. »Oje, wie soll das bloß werden?«, dachte ich mir. Auf Fotos und Videos sieht der kleine Hund ja ganz niedlich aus, aber ihm dann im echten Leben begegnen? Vielleicht täuscht die Niedlichkeit ja auch. [Tut sie nicht.]

Matt und ich begegneten uns in der U-Bahn. Ein kleiner süßer Hund. Kein beißender kleiner Tiger. Zitternd vor Angst, zu viele Menschen. Für ihn, aber auch für mich. Großes Mitgefühl breitete sich in mir aus. »Wir gründen einfach eine Selbsthilfegruppe«, sagte ich, als wir gemeinsam in den Fahrstuhl eingestiegen sind.

Wieso werden soziale Ängste in der Gesellschaft belächelt, aber spezifische Ängste vor Tieren oder Höhe nicht?

Die Angst vor Matt rückte für mich schnell in den Hintergrund. Die sozialen Ängste haben zu viel Raum in meinem Kopf und meinem Empfinden eingenommen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es für viele Menschen völlig normal ist, wenn man Angst vor Hunden hat. Oder vor Spinnen. »So geht’s mir auch«, hört man oft, wenn man erzählt, dass man nicht gerne mit dem Fahrstuhl fährt. Sagt man aber stattdessen, dass man Angst vor sozialen Situationen hat, wird man schnell als gestört oder »Du stellst dich aber auch an!« abgestempelt.

Es war auf jeden Fall ganz schön, dass der kleine Hund am Wochenende mit dabei war. Ihn zu beobachten hat mich ein bisschen von den vielen (sozialen) Ängsten abgelenkt und er hat uns regelmäßig zum Schmunzeln gebracht. Und ich habe gemerkt: Zumindest Matt verwandelt sich nicht plötzlich in einen kleinen, beißenden Tiger.

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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