„Hallo Erinnerung. Schön, dass du wieder da bist! Aber eigentlich wollte ich dich gar nicht wiedersehen.“
Zumindest in der Form, in der ich es gestern erleben musste, wünsche ich mir meine Erinnerungen der schlimmsten Zeit im Krankenhaus nicht. Und erst recht nicht während eines spannenden Seminars in der Uni… Mir war im Vorfeld bewusst, dass das passieren kann, doch ich dachte, dass ich diese extremen Erinnerungen, die einem Flashback ähneln, unter Kontrolle hätte. Pustekuchen!
Ich merkte, dass das Thema – Nahtod – mich triggert, doch zugleich finde ich es spannend. Somit entzog ich mich dieser Situation nicht und war von der Erinnerung gefangen. Ich versuchte die Puzzleteile zusammen zu puzzeln. Wieder und wieder, um herauszufinden, was in welcher Reihenfolge passiert ist. Vergeblich. Die Gefühle überstiegen mich. Ehe ich die Situation begreifen konnte, kamen mir die Tränen und ich fing kurz an zu weinen. Ich versuchte mich zu berappeln. Es gelang mir kurz. Ich sprach gegenüber meiner Kommilitonin aus, was in mir passierte und woran ich mich erinnerte: Die Schmerzen, die Gefühlslosigkeit, die Hilflosigkeit und das Hoffen auf das Ende. Die einzelnen Sequenzen, die sich nicht zusammenfügen lassen. Es tat gut dies auszusprechen und beruhigte mich kurz. Doch plötzlich merkte ich „Du musst hier weg“. Ich stand auf, ging vor die Tür und wusste nicht wohin mit mir. Also lies ich mich die Wand runter rutschen und fing an zu schluchzen. Ich begann schnell die Tür gegenüber von mir zu fixieren. Auf dieser hingen ein paar Zeichnungen oder Bilder. Was genau weiß ich nicht, aber es beruhigte mich in etwas hineinstarren zu können. Ich versuchte meine Atmung durch starkes Ausatmen zu kontrollieren. Ein paar Kommilitonen, die an mir vorbei liefen, sprachen mich an. Sie fragten, ob alles okay wäre, ich eine Umarmung bräuchte oder irgendetwas anderes. Ich schüttelte den Kopf. Sprechen konnte ich nicht. Ich wollte einfach alleine dort sitzen, die Tür fixieren und mich weiter auf meine Atmung konzentrieren. Auch meine Dozentin erkundigte sich kurz, ob ich etwas brauche. Ich verneinte. Ich überlegte kurz, ob ich den Tag abbreche oder meinen Hund hole, um mich in so einer Situation auf etwas anders konzentrieren zu können und er mir einfach signalisieren kann, dass ich mich im hier und jetzt befinde. Doch er ist kein Assistenzhund und somit in der Uni verboten.
Ich weiß nicht, wie lange ich im Flur saß und die Tür anstarrte. Aber das war auch egal. Ich musste wieder zur Ruhe kommen, um weiter am Seminar teilnehmen zu können. Nach etwas Zeit stand ich auf, ging auf Toilette und beschäftigte mich noch ein paar Minuten mit meinem Handy. Danach war ich wieder dazu in der Lage weiter am Seminar teilzunehmen. Also betrat ich wieder den Raum, setze mich hin und konzentrierte mich auf den weiteren Inhalt.

Ich bin nicht die einzige, der in diesem Seminar die Tränen gekommen sind. Dennoch ist mir klar geworden, dass ich tiefer in einem Trauma stecke als ich bisher angenommen hatte. Mein Studium bringt mich oft an meine körperlichen Grenzen und nun wurde auch eine seelische Grenze erreicht.

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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