Kurz nachdem ich meine Langzeitbehandlung abgeschlossen habe und die Nachsorgebehandlung begonnen hat, gab es eine wichtige Stütze auf dem Weg zur Abstinenz, die mir fehlte. Die gemeinte Stütze ist die Selbsthilfegruppe.
Die Suche nach der für mich geeigneten Gruppe gestaltete sich schwieriger als gedacht. Entweder scheiterte es an der Entfernung oder an dem doch etwas hohen Altersdurchschnitt der Teilnehmer. Auch wenn es in meiner Umgebung recht viele Selbsthilfegruppen gibt, war eben dieser Altersdurchschnitt der Teilnehmer dafür verantwortlich, dass ich meine Säule auf dem Weg zur Abstinenz nicht richtig ausbauen konnte. Es wollte mir nicht gelingen, in den bereits bestehenden Gruppen Anschluss zu finden. Zum einen war meine Lebenswirklichkeit kaum deckungsgleich mit der Lebenswirklichkeit der anderen Teilnehmer. Festivalgänger waren unter den Teilnehmern keine zu finden, mit Freunden feiernd die Nach verbringen war kein wirkliches Thema mehr und zum Thema eigene Kinder und Enkelkinder wusste ich nicht viel zu sagen. Zum anderen wurden meine Beitrage in meinen Augen etwas despektierlich und alles andere als wertschätzend kommentiert. „Ach komm, was willst du mir schon von Abstinenz erzählen, ich bin schon seit über 30 Jahren trocken, da braucht so ein Jungspund wie du mir nichts von Abstinenz erzählen.“
30 Jahre trocken, starke Leistung, klar und für mich am Ende meiner 20er noch unvorstellbar. Vor 30 Jahren war ich noch nicht einmal auf der Welt, geschweige den in der Planung. So kam es, dass ich meine Suche nach der geeigneten Selbsthilfe aufgab und diese fehlende Säule durch den Ausbau der anderen Säulen (Soziale Beziehungen, Arbeit, Studium) kompensierte. Da dies kein Dauerzustand sein konnte, kam mir der Gedanke:

Wenn es nicht die richtige Gruppe für mich gibt, dann gründe ich eben eine!

Leichter gesagt als getan. Einige Telefonate mit Verbänden und Vereinen verliefen im Sande. Entweder meldete sich niemand mehr zurück oder ich wurde etwas pampig angemacht, dass ich doch noch nicht lange genug in einer Selbsthilfegruppe Mitglied sei und erst eine Empfehlung des Gruppenleiters brauche, um eine Fortbildung für einen Gruppenleiterlehrgang im Bereich Sucht machen zu dürfen. Erst durch diese Fortbildung dürfte ich eine Gruppe gründen. Mein Anliegen, den regionalen Mangel einer Gruppe für junge Abhängigkeitserkrankte Menschen auszugleichen, fand ebenfalls wenig Verständnis. „Es gibt doch genug Gruppen in der Umgebung!“ Ja das tut es, aber eben nicht für junge Menschen und deren Bedürfnisse und mit jungen Menschen meine ich Menschen die unter 40 sind. „Zu uns können auch junge Menschen kommen!“ Ja das können sie, nur bleiben sie nicht. „Auch hier dürfen die Jungen über alles reden!“ Ja das dürfen sie, nur musste ich die Erfahrung machen, dass die Themen der Jungen wenig Anklang finden.

Erst durch einen Zufall kam ich an die benötigte Fortbildung. Da ich von meiner ehemaligen Nachsorgetherapeutin, die mich bei meiner Entscheidung eine eigene Gruppe zu gründen bestärkte, aber selbst an den formalen und festgefahrenen Strukturen der eingesessenen Vereine und Verbände wie ich gescheitert war, noch eine Bescheinigung gebraucht habe, teilte Sie mir mit, dass es einen Trägerwechsel der Fachstelle gegeben hat und sie sich danach erkundigen wird, ob es vielleicht doch noch eine Möglichkeit gibt, dass ich zu meiner eigenen Gruppe komme.

Tatsächlich klappte es! Der neue Träger bildet jedes Jahr neue ehrenamtliche Gruppenleiter aus! Einziger Knackpunkt, der Einsendeschluss für die Bewerbung wäre in wenigen Tagen. Beflügelt durch diese Nachricht und die Motivation, endlich einen Schritt bei der Gründung einer eigenen Selbsthilfegruppe vorangekommen zu sein, dauerte es nicht lange, bis der ausführliche Suchtverlauf, der tabellarische Lebenslauf und das Motivationsschreiben getippt, korrekturgelesen und in einem Umschlag Richtung Fortbildung geschickt wurden. Einige Wochen später hatte ich auch schon die Zusage für meinen Fortbildungsplatz und die Gründung der eigenen Gruppe rückte in absehbare Nähe.

Mittlerweile sind seit dem Ende der Fortbildung und der Gründung meiner eigenen Gruppe „Clean? Klar?! Kommen“ 1,5 Jahre vergangen. Anhand der Themen die die Teilnehmer mit in die Gruppe nehmen, der Bereitschaft zu diskutieren, selbst wenn die Motivation extrinsischer Natur ist und dem vielen Lachen, das in einer Selbsthilfegruppe erwünscht ist, auch wenn über die teils schwere Themen geredet wird, weiß ich, dass der Gedanke: „Wenn es nicht die richtige Gruppe für mich gibt, dann gründe ich eben eine!“ zu der richtigen Entscheidung geführt hat, auch wenn der Weg beschwerlich war. Es hat sich gelohnt!

Natürlich weiß ich, dass es nicht immer so laufen muss und ich vielleicht einfach nur auf meiner Suche Pech hatte, die richtige Gruppe für mich zu finden. Letzten Endes bin ich froh, dass ich nicht die richtige Gruppe für mich gefunden habe, da ich erst dadurch die Entscheidung getroffen habe, eine eigene Gruppe für junge Menschen zu gründen. Diesem doch turbulenten Abschnitt im Leben bin ich auch sehr dankbar, da ich auf dem Weg zur Gründung, bei den ersten Sitzungen als Leiter einer eigenen Gruppe und den formalen Angelegenheiten wie der Kostenförderung jede Menge Erfahrungen gesammelt habe, womit ich andere jungen Menschen bei der Entscheidung eine eigene Gruppe gründen zu wollen, unterstützen und die Angst vor dieser vielleicht als schwer empfundenen Entscheidung nehmen kann.

 

 

 

Autor*in: Bossi

Ich möchte meine eigene Gruppe etwas anders angehen und die üblichen Runden einer Selbsthilfegruppe mit ein paar innovativen Methoden etwas beleben. Über eben diesen Einsatz von Methoden in der Selbsthilfe, meine Erfahrungen damit und meine persönliche Suchtgeschichte möchte ich im Blog berichten und mich darüber austauschen.

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