Mutsammlerin wartet auf die Online-Selbsthilfegruppe

In den letzten Wochen kehrte im Alltag immer mehr Normalität ein. Es sind mehr Leute auf den Straßen, viele Menschen kehren vom Homeoffice in ihr Büro zurück und kleine Gruppen dürfen sich wieder treffen. Trotzdem ließ es noch ein paar Wochen auf sich warten bis die langersehnte Nachricht kam: Selbsthilfegruppen dürfen sich auch wieder treffen.

Einfach mal die Initiative ergreifen

Als vor ein paar Monaten das Kontaktverbot verabschiedet wurde, kam kurzerhand eine E-Mail des Gruppenleiters, dass es gerade in dieser Zeit, die so viele Unsicherheiten mit sich bringen kann, wichtig ist, in Kontakt zu bleiben. Sofort fing ich an, meinen Vorschlag, die Treffen per Videokonferenz weiterhin stattfinden zu lassen, in eine E-Mail zu tippen. Die Mail war schnell getippt. Bis ich auf Senden klicken konnte vergingen etliche Stunden.

Angstgedanken: Was mache ich, wenn niemand auf meine E-Mail reagiert? Wenn alle meinen Vorschlag doof finden? Und dann schlecht über mich denken?

Schwierigkeiten bei den Online-Treffen

Glücklicherweise stieß mein Vorschlag erst einmal auf positive Resonanz. Aber es stellten sich auch schnell einige Schwierigkeiten heraus: Wir bekamen nur von einigen wenigen Gruppenmitgliedern die Kontaktdaten zusammengesammelt, um überhaupt über das Angebot zu informieren. Es musste eine kreative Lösung gefunden werden, wie der Gruppenleiter ohne Internetanschluss teilnehmen kann. Einige entschieden sich aus Datenschutzgründen gegen eine Teilnahme an den Videokonferenzen und wieder andere ließen gar nichts von sich hören. So waren wir also nur zu dritt.

Unsere Gespräche waren kürzer als sonst. Oft nicht einmal eine Stunde lang. Denn worüber sollen Sozialphobiker*innen auch sprechen, wenn es keine sozialen Situationen gibt, die einem Probleme bereiten?! Mir hat die Zeit trotzdem Probleme bereitet. Mir ging es nicht gut. Ich bin in alte (krankhafte) Verhaltensweisen zurückgefallen. Habe ich es geschafft darüber zu sprechen? Nein.

Angstgedanken: Niemand wird mich verstehen. Ich darf keinen Raum einnehmen. Ich könnte den anderen auf die Nerven gehen. Wieso sollte es jemanden interessieren? Die anderen könnten schlecht über mich denken und meine Ängste nicht ernst nehmen, weil es ihnen nicht so ergeht.

Huhu, wo seid ihr?

Es gab in jeder Woche mehrmals den Moment, in dem mich die Ängste überrannt haben und in denen ich die virtuellen Gruppentreffen am liebsten einfach abgesagt hätte. Auch wenn es für die anderen vielleicht einfacher gewesen ist, nicht die eigenen vier Wände verlassen zu müssen, sind Videokonferenzen für mich doch immer mit vielen Ängsten verbunden. Es hat Überwindung gekostet. Woche für Woche. Das erschöpft. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, anstatt Dank nur Kritik zu ernten.

Wegen einer Tanzprobe musste ich ein Treffen absagen. In der Woche danach klang es in meinen Ohren etwas anklagend, dass es nicht stattgefunden hat. Auf meine Vorschläge in der Absage-Mail, wie es auch ohne mich stattfinden kann, gab es keine Reaktion. Wegen einem Uniseminar konnten wir erst eine Stunde später als sonst beginnen. Es klang in meinen Ohren etwas anklagend, dass wir erst später anfangen. [Sollen sie doch froh sein, dass sich überhaupt jemand darum kümmert, dass wir in Kontakt bleiben…] Einmal saß ich alleine da. Vor meinem Bildschirm. Einsam. In meinem Zimmer.

Angstgedanken: Die anderen mögen mich nicht. Ich bin es nicht wert, dass man mir absagt. Ich störe. Ich gehöre nicht zur Gruppe. Ich passe nirgendwo hin. 

Yeah, endlich wieder echte Gruppentreffen

Woche für Woche wurde betont, wie sehr wir uns darauf freuen, wenn wir endlich wieder in den Gruppenraum dürfen. Denn die Atmosphäre im Gruppenraum kann man online nicht ersetzen. Ich bin froh, dass die virtuellen Treffen ein Ende haben. Ich sollte mit Freude zum Gruppentreffen gehen. Und doch heißt es für mich nicht nur Yeah, Gruppentreffen, sondern auch Yeah, hallo Angst! So sitze ich also zum dritten Mal in meinem Zimmer anstatt im Gruppenraum. Und ärgere mich. Über die Angst und über mich.

Angstgedanken: Ich würde nur stören. Die Treffen sind für alle besser, wenn ich nicht dabei bin. Es interessiert eh niemanden, ob ich dabei bin oder nicht. Was wäre, wenn ich es nicht schaffen würde etwas zu sagen? Wenn die Ängste plötzlich so stark werden, dass ich es nicht länger im Raum aushalte? Was ist, wenn ich etwas dummes sage oder mich seltsam verhalte? Wenn sich die anderen denken: wäre sie mal bloß nicht gekommen. 

Autor*in: Mutsammlerin

An ein Leben ohne Angst kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann davon träumen, die Angst aushalten und für meine Träume kämpfen.

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