Zwei Tage nach meiner Entlassung aus der Psychiatrie begann meine psychosomatische Rehabilitation. Ich war mir nicht sicher was ich erwarten soll. Ich war schon einmal 10 und einmal 12 Wochen in einer Klinik und Arbeitsfähigkeit habe ich dadurch keine erlangt. Zumindest nicht auf lange Sicht. „Also was sollen dann 5 Wochen reißen?“, dachte ich mir.

Ich habe mir am Anfang schon gesagt, ich werde dort keine sozialen Kontakte eingehen, da es mir extrem viel Energie geraubt hat in den letzten Wochen und ich sowieso lernen muss wie ich mit mir alleine zurecht komme und was ich mit mir anfange. Das ging eigentlich auch recht gut. Nur mit mir etwas anzufangen hat sich als schwieriger herausgestellt als ich dachte. Die meiste Zeit saß ich nur auf einer Bank schaute YouTube Videos oder hörte Musik. Aber was noch schlimmer war, ich war die ganze Zeit am Essen. Kein Tag verging an welchem ich nicht noch zum Bäcker gelaufen oder in den Lidl gegangen bin um mir Nervennahrung zu kaufen.

Ich hatte mir gegenüber so ein schlechtes Gewissen da ich es wieder nicht schaffte mein normales Essverhalten aufrechtzuerhalten. Ich verpasste das Frühstück weil ich zu müde war um aufzustehen, ging dann um 11h zum Bäcker und kaufte mir zwei Sachen und um 11.45h war ich wieder pünktlich beim Mittagessen um weiter zu essen. Gegen 14h ging es dann zum Lidl, da der Bäcker dann doch zu teuer war und kaufte mir dort ein paar Sachen und jede Menge Snacks. Immer wieder sagte ich mir: „Das reicht dann für 4 Tage“ und Überraschung, am Abend war alles weg.

Bei meinem ersten Therapiegespräch ging es wie immer erst mal um meine Diagnosen. Logisch wenn ich Therapeut wäre würde ich auch fragen. 13 Diagnosen? das geht doch gar nicht. Ich war es gewohnt über meine Vergangenheit und meine Probleme zu sprechen so ging der Termin auch recht gut zu Ende ohne das ich ihn als anstrengend einstufen würde. Routine halt. Gegen Ende fragte mich die Therapeutin wie ich mich denn mit den ganzen Diagnosen fühle.

„Ich weiß nicht genau was ich mit ihnen anfangen soll, am Anfang als die ersten kamen war es gut, ich wusste endlich wo ich meine Beschwerden einstufen konnte. Aber je mehr dazu kamen um so mehr überforderte es mich.“ sagte ich und schloss an mit „Jedes mal wenn ich etwas neues an mir entdecke bemerke ich wie ich es versuche in irgendeine Diagnoseschublade zu stecken. Weil es für mich noch schwieriger ist etwas als Persönlichkeit einzustufen. Da ich keine Ahnung habe was an mir Persönlichkeit und was an mir Symptom ist“. „Ich würde am liebsten von vorne Anfangen was die ganze Diagnostik angeht und bei Null anfangen“.

Gesagt getan. Meine Therapeutin stimmte meinem Wunsch direkt zu und drückte mir einige Fragebögen in die Hand welche ich noch in der nächsten Stunde ausfüllte. Ich fühlte mich direkt viel besser, meine Stimmung schoss wieder in die Höhe, „Ich werde gesehen und gehört“, dachte ich mir und das war ein gutes Gefühl.

Im nächsten Einzelgespräch hatte sie die Fragebögen bereits ausgewertet und der Verdacht fiel auf eine Persönlichkeitsstörung, welche mir damals in der letzten stationären Behandlung in den Entlassbrief geschrieben wurde. „Das kann nicht sein“, dachte ich mir damals. Ich wollte mich nie mit dieser Diagnose identifizieren. Da ich Angst davor hatte. Ich habe in meinen ersten beiden Klinikaufenthalten viele Menschen mit dieser Erkrankung kennengelernt. Und ich habe gesehen wie sie darunter leiden mit dieser Krankheit leben zu müssen. Wie anstrengend das für sie ist und wie lange sie das begleitet.

So langsam musste ich mich aber mit dieser Erkrankung befassen, so setzte ich mich am selben Nachmittag in mein Zimmer und recherchierte. Die Ursachen habe ich direkt abhaken können und dachte mir nur „Na toll..“. Als ich dann mal das Krankheitsbild genauer unter die Lupe genommen und fast auseinandergenommen habe, wurde es mir klar.

Es passt wie die Faust aufs Auge. Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung – Borderline Typ. „Das ist es also?“, dachte ich mir. Ich habe alles was an parallelen da war aufgeschrieben und habe über andere Punkte gemutmaßt, da ich es nicht direkt einordnen konnte.

Ich dachte mir früher immer: „Du kannst kein Borderline haben, du verletzt dich ja nicht selbst“. Überraschung Überraschung. Ich habe mir ins Gedächtnis gerufen was eine Mitpatientin mir damals sagte. „Es gibt mehr als nur Schneiden oder Verbrennen, man kann sich auf so viele Arten selbst verletzen ohne das es von außen sichtbar ist“. Dann habe ich mal zwischen körperlicher und emotionaler Selbstschädigung/ -verletzung differenziert und wer hätte es gedacht, mein Essverhalten steht bei mir auf Nummer 1. Mir wurde klar, das meine Essstörung keine Essstörung war, sondern nur ein Symptom. Mein Alkohol- und Cannabis Missbrauch in der Jugend passt auch ins Bild.

Ich habe meiner Therapeutin meine Recherchen zukommen lassen und beim nächsten Gespräch war es klar. Alle meine bisherigen Diagnosen gehen letztlich in dieser Borderline Störung auf. Und so reduzierten sich meine Diagnosen von 13 auf gerade einmal 2.

Es fühlte sich gut an, zum Teil jedenfalls. Ich hatte Klarheit, ich weiß jetzt was mit mir los ist. Ich habe sogar schon einen Termin in einer Klinik für eine Diagnostik für diese Erkrankung damit ich dort dann meine Therapie anfangen kann. Es war die richtige Entscheidung mich dorthin zu wenden. Auch wenn ich mir nie zugestehen wollte das es so ist. Ich konnte mich schon lange damit abfinden das ich emotional instabil bin, Stimmungsschwankungen hatte ich schon immer aber ich hatte es für mich nur so definieren wollen.

Arbeitsfähigkeit habe ich durch die Reha nicht erlangt aber dafür Klarheit was nüchtern betrachtet das beste in dieser Situation ist. Wäre ich wieder in den Arbeitsmarkt zurückgekehrt hätte es so ausgesehen wie nach meinem ersten Klinikaufenthalt.

Für mich heißt es jetzt wieder Geduld haben und warten. Schon wieder läuft es anders als ich es mir vorgestellt habe. Schon wieder muss ich auf Pause drücken und mich einschränken was meine Lebensqualität angeht.

Aber ich halte durch. Ich lasse mich nicht von dieser Krankheit runter ziehen. Sie war so viele Jahre ein Teil von mir und nur weil sie jetzt einen Namen hat macht sie mir nicht noch mehr Angst. Ich werde weiter kämpfen!

Autor*in: Blue

Das wird ein Kampf, ein Kampf um meine Gesundheit, ein Kampf um eine glückliche Zukunft und ein zufriedenes Leben. Diesen Kampf kämpfe ich gerne... zumindest die meiste Zeit.

in Zusammenarbeit mit:

Logo Schon mal an Selbsthilfegruppen gedacht?