Gastbeitrag von: Melly
In einem meiner Beiträge habe ich beschrieben wie genau ich zur Selbsthilfe gebracht wurde. Jetzt beschreibe ich eine mir irgendwie sehr unangenehme aber auch befreiende Situation, die mir so recht nicht aus dem Kopf gehen mag. Naja ich bin ja auch eine Gedankenschwärmerin, nur dass man von Schwärmen in diesem Sinne zu der Situation nicht wirklich sprechen kann.
Wie jeden Montag fand die Selbsthilfegruppe statt. Ich als Leiterin war sehr glücklich darüber, zu sehen, dass sich die einzelnen Mitglieder immer mehr einbringen und mich nicht alles selbst entscheiden lassen. Einer hatte ein Thema vorbereitet und vorgestellt, der andere öffnete sich mehr, es kam mehr Input, mehr Vorschläge an sich und und und. Seit Wochen jedoch plagen mich starke Versagensängste, die mich um den Schlaf bringen, denn fast pausenlos habe ich Alpträume. Ihr wisst schon, diese Art von Alpträumen, die sich so richtig realistisch anfühlen, bei denen man einige Minuten nach dem Aufwachen braucht, um zu merken, dass es nur ein Traum war.
Im Gegensatz zu anderen in meinem Alter träume ich verdammt viel und sehr fantasievoll und/oder sehr intensiv. Damit meine ich nicht meine Tagträumerei, die einfach ein Teil von mir ist, sondern die Träume während des Schlafens. Versteht mich nicht falsch, ich träume unheimlich gerne, es ist wie eine Flucht aus der Welt, dort kann man in andere Welten eintauchen, man kann eine Kriegerin sein, eine Heldin, vielleicht fliegen oder zaubern, man kann auch einfach man selbst sein oder jemand der man gerne wäre. Manchmal habe ich anfängliche Alpträume, doch sie sind so interessant, dass ich sie zuende träumen möchte. Nicht so bei den Träumen, die ich derzeit erleide. Ja, ich erleide sie, denn für mich ist es Leid. Nicht nur, dass mich die Ängste oft tagsüber plagen, nein, nun auch Nachts, wo ich doch eigentlich zur Ruhe kommen sollte. Auch jetzt schreibe ich wieder um fast sechs Uhr morgens, statt zu schlafen, weil mich das alles so beschäftigt und auch weil ich irgendwie Sorge vor dem Schlaf habe. Es ist bewiesen, die Träume geben irgendwie den Tag und die tiefen Gedanken wieder….
Als Gruppenleiterin erzähle ich zwar auch von meinen Gedanken, meinen Problemen und Freuden, doch irgendwie muss ich doch auch stark sein oder nicht? Schließlich bin ich die Gruppenleiterin, was mögen alle denken, wenn diese zusammenbricht?
So war es in der letzten Gruppensitzung. Die Sitzung war eigentlich schon fast vorbei, bis dann ein Mitglied vorschlug, weil er die Übung schon kannte, dass alle auf einen Zettel aufschreiben, was wir über uns selbst denken. Zu diesem Augenblick dachte ich mir nichts dabei. Ich habe schon oft aufgeschrieben was ich über mich denke, doch ich hatte scheinbar keine Ahnung mehr wie ich mich selbst sehe. Früher standen Dinge darauf wie: Tierlieb, aufgeschlossen, vertrauenswürdig, kreativ; sowas eben. Und daran hat sich auch nichts geändert,….. naja bis auf all das Negative, dass mit Hagelkörnern auf die letzte Blume prasselt und sie verblühen und sterben lässt…
Fast jeder laß vor oder gab wieder was er aufgeschrieben hatte, zum Schluss war ich dran. Ich wollte es eigentlich schnell über die Bühne bringen, doch alle meine Verlust-, Versagens-, Krankheits- und Vertrauensängste prasselten dermaßen auf mich ein, dass ich in völligen Tränen ausbrach, was scheinbar jeden im Raum schockte. Ich versuchte mein Weinen zu stoppen, wischte ständig über mein Gesicht und versuchte normal oder wenigstens förmlich weiterzureden, doch es kullerten immer mehr Tränen meine Wangen hinunter und selbst der eklige Rotz wollte mir aus der Nase laufen. Ich schämte mich so sehr, doch dennoch sprach ich weiter, weil ich es nicht mehr für mich behalten konnte, weil es mich innerlich so sehr aufgefressen hatte, dass es förmlich fast aus mir platzte, naja nur eben nicht mehr besonders förmlich. Irgendwann konnte ich nicht mehr sprechen, ich wollte noch so viel loswerden, noch so viel sagen, doch es ging nicht mehr. Ich spürte die Blicke auf mir, einer brachte mir Taschentücher, ein anderer klopfte mir auf die Schulter, der nächste schaute völlig schockiert, und einer wiederum schaute voller Mitleid. Das lustige (Ironie) war, dass der, der die Übung vorgeschlagen hatte, schon eher gehen musste, da sein Zug kam. Er hat das alles nicht mehr mitbekommen. Am Montag wird er sicherlich fragen wie die Übung war, ich habe jetzt schon Angst wie ich reagiere. Denn ich bin wieder tiefer in der Depression als ich bis dato dachte. Ich war Jahre lang aus diesem Loch raus, doch nun stecke ich wieder drin, das brauche ich nicht schön reden. Ich weiß auch wieso, es liegt an einer Person, die mich per Whatsapp-Nachricht einfach aus ihrem Leben verbannte; diese Person hatte gleichzeitig geschafft, dass ich nach ganzen sechs Jahren, in denen ich ein Eisblock war und weder Gefühle zeigen konnte, noch wirklich etwas fühlte, meinen Eisblock schmelzen ließ. Meine Versagensängste sowie die Ängste vor meiner Krankheit verschwanden wenn ich mit dieser Person unterwegs war, nun hat sie mich einfach von sich gestoßen. Ihr könnt euch vorstellen wie es mir danach ging und es mir auch jetzt noch geht. Ich komme damit nicht parat. Denn diese Person gab mir nicht einmal die Möglichkeit zur Aussprache. Und obwohl ich weiß, dass ich nichts Schlimmes gemacht habe, fühle ich mich schuldig und finde immer mehr Fehler an mir. Das und alles andere um mich herum brechen mich. Ich vertraue niemandem mehr so recht, nicht einmal mehr mir selbst. Denn ich dachte doch wahrhaftig, dass ich niemals mehr so zusammenbrechen werde, dass es mir so dreckig geht, wie verzerrt und wie schrecklich mein Selbstbild ist, bzw. wie ich mich selbst sehe und wie einsam ich mich tatsächlich fühle…
Ich weiß, dass es nicht schlecht oder falsch ist in der Selbsthilfegruppe so in Tränen auszubrechen. Ich weiß, dass auch ein Gruppenleiter Gefühle zeigen und weinen darf. Aber es tut mir dennoch so dermaßen weh, dass es mich auch gerade, während ich diese Zeilen schreibe, bricht. Stück für Stück, als würde jemand Stücke aus mir herausreißen, als würde mir jemand meine Seele aus dem Magen und Mund ziehen. Ich weiß ich darf mich nicht durch eine so falsche Person brechen lassen und ich weiß auch irgendwo, dass ich es drauf habe, und vieles im Leben erreichen kann; aber es geht mir nur derzeit innerlich dermaßen schlecht, dass ich es nicht wissen will und einfach möchte, dass dieser Spuk vorbeizieht.
Autor*in: Gastautor*in
Ab und an schreiben auch Gäste in unserem Blog. Gastbeiträge sind mit dem Namen "Gastautor*in" gekennzeichnet.
Liebe Gedankenschwärmerin,
dein Beitrag hat mich sehr berührt und ich will dich jetzt gar nicht mit Floskeln wie „Kopf hoch“, oder „das wird schon wieder“ nerven. Ich möchte dir nur sagen, dass du nicht allein bist — mit dem, was du fühlst und wie es aus dir rauskommt. Schäme dich nicht dafür. Schwach sein ist stark, rauslassen ist viel besser als daran zu ersticken. Ich wünsche dir, dass du Stück für Stück wieder herausfindest aus deiner Traurigkeit und Verzweifelung und ich glaube auch, dass du das schaffst, denn dadurch, dass du es aufgeschrieben hast und es anderen mitteilst, hast du schon einen Schritt getan.
Alles Liebe, RE-HAse
Danke RE-HAse für deine wirklich lieben und aufmunternden Worte. Im Grunde genommen weiß ich das, nur brauche ich eben viel Zeit und viele kleine Stücke um wieder zu mir selbst zu finden. 🙂
Hallo Gedankenschwärmerin.
Wie Re-HAse sagt, du bist auch damit nicht allein.
Seit ich Gruppenleiterin bin plagt mich dieses hin und her zwischen förmlicher orga und auf die Gruppe “aufpassen” und der Hilfe, die ich selbst brauche.
Beim ersten Mal bin ich kläglich gescheitert und ähnlich wie du zusammengebrochen. Aber da haben mich sogar die anderen Leuter und Freunde rausgenommen und sich viel Zeit für mich genommen. Aber weißt du was? Ich hab ich schrecklich, als Versagerin gefühlt.
Apropo vllt. holst du dir mit etwas Zeit einen zweiten Leiter heran? So kann man sich abwechseln. Das tut bei uns in der Gruppe sehr gut. Ja ist nicht einfach, aber grade wenn die Gruppe aktiver wird? Braucht Zeit, weil dem anderen Leiter sollte man zu nem gewissen Grad vertrauen können und Zusammenarbeit muss geübt werden.
Ansonsten half mir später offen in der Gruppe damit umzugen. Bei rei um den Befürchtungen/ Hoffnungen sagte ich die letzten zweik mal. Dass ich Angst habe beides nicht unter einen Hut zu kriegen und das ich auch für mich die Treffen brauchte. Auch bei diesem Treffen weinte ich (aus Erschöpfung) und fand das selbst doof. Ich bekam die Rückmeldung, is doch alles in Ordnung du bist halt offen mit deinen Gefühlen.
Es war viel Verständnis da, dass ich auch einfach Mitglied zum Teil sein wollte. Is aber echt nicht leicht. Vielleicht fängst du damit an dir zuzugestehen, dass auch ein Leiter manchmal nur Moderator ist, der aber an der Diskussion teil nimmt. Die Treffen sollten auch für dich da sein.
Ich kenne dieses “Ich weiß das…umd trotzdem” nur zu gut!
Allerdings zu wissen und es aufzuschreiben und auch veröffentlichen ist ein erster Schritt. Ich glaube an dich, dass du es schaffst langsam daran zu glauben. Stück für Stück!
Toller sehr berührender Text. Danke fürs so offen sein und Teilen 🙂
Dass ich nicht alleine damit bin gibt mir, so doof es auch klingt, irgendwie Trost und Zuversicht. Das mit dem zweiten Leiter habe ich schon geplant. Die Gruppe muss jedoch erstmal etwas mehr zusammenwachsen. Das würde mir sicher gut tun. Ich werde es definitiv in Angriff nehmen und mit der Gruppe darüber sprechen. Vielen Dank für deine lieben Worte. 🙂
Ich kann mich nur anschließen. Ich glaube an dich und du wirst deinen Weg finden aus Tiefen herauszukommen. Jeder Anstieg ist schwer.
Grüße, Rainbow
Danke, dass du an mich glaubst 🙂 <3