Von Gastautor: Lay

An einem sonnigen Nachmittag saß ich am Schreibtisch und war gerade dabei, die Zählerstände für Gas und Strom an die Stadtwerke zu senden, da klingelte es an der Tür.
Oh! Diese gottverdammte Klingel..! Wenn ich nur dieses scheußliche Geräusch dumpf im Flur klirren höre, muss ich unweigerlich zusammenzucken. Der Fluch der Klingel ist wohl geheimnisvollen Lebensumständen der letzten Zeiten geschuldet. Ich erwarte zumindest etwas lästiges, schlimmstenfalls aber etwas unheilvolles.
“Zinggg…”.
”Ach du Sch****e! Was soll das jetzt noch?”
Um sicher zu gehen, dass die garstige Klingel es hoffentlich nicht auf mich abgesehen hatte, huschte ich zur Wohnungstür, öffnete spaltbreit und horchte gespannt ins Treppenhaus hinein…
“…Sind denn deine Eltern zu Hause?”, hörte ich eine Männerstimme empor hallen.
Es war ein undeutliches Piepen der kleinen Nachbarstochter zu hören und dann: “…Zähler ablesen…”
“Ha? Zähler ablesen, jetzt? Mensch! Das habe ich doch gerade gemacht, gerade eben im Keller gewesen, gerade alles abgelesen..” Ja, alles abgelesen, denn ich weiß dummerweise nicht, welcher Zähler für mich zählt…Da wollte ich noch bei den Nachbarn anfragen…
“Diesen Typen könnte ich ja fragen, ja, er müsste es ja wissen…” Ich lief wieder die Treppen zum Keller hinunter und sah aus dem Halbdunkeln eine Gestalt hervorstehen.
“Hallo! Sie sind von den Stadtwerken?”, grüßte ich munter in den Keller hinein. Da erinnerte ich mich! Eine ähnliche Begegnung hatte ich neulich schon mal…Da hantierte auch einer am Zählerschrank herum. Damals lief es aber so ab:
“Hallo! Sie sind von den Stadtwerken? “Ja, Sie sind Herr D?“
“Ehm…Jaaa…”
“Ihretwegen bin ich da. Sie haben Ihre Rechnungen nicht bezahlt und jetzt muss ich Ihnen den Strom abstellen.“
“Ach du liebe Zeit..!”
Ha, kein Wunder, dass mich das blöde Klingelgeräusch so triggert.
“Naja, diesmal wird´s wohl nicht so schlimm kommen”, dachte ich mir, “bezahlt habe ich diesmal..!‘ Oder..?”
Ich lief die letzten Stufen hinunter und dann sah ich ihn. Es war diese bekannte, hagere Gestalt, die ich immer wieder in Unbekannten wiedererkenne, dieses etwas schmale Gesicht mit der hohen, leicht gerunzelten Stirn, den markanten Augenlidern über den müden grauen Augen, der Stoppelbart…Vater! Ja, er war es und doch war er es nicht, natürlich nicht, Vater ist ja schon lange tot.
Seit Jahren aber sehe ich dieses Gesicht oft in meinen Träumen, seltener aber in der Alltagswirklichkeit und selten aus solcher Nähe.
Ich konnte mich an diesem Mann nicht satt sehen…Ich fragte Ihn aus über die Nummer meines Gaszählers, scherzte, dass er mir doch meine Arbeit gerade wegnehme.
Die Begegnung war kurz, ja zu kurz! Bald saß ich wieder an meinem Schreibtisch, aber ich wollte ihn so gerne noch einmal sehen.
Ich lehnte mich an die Fensterbank und schaute sehnsuchtsvoll zum Vorgarten hinunter: da kam er, ging zügig durch das eiserne Zauntor auf die Straße hinaus und weiter zu den Nachbarhäusern, dann war er verschwunden.
Es überkam mich die mir so vertraute, wehmütige Stimmung, das Gefühl einer unerreichbaren Präsenz und ich murmelte träumerisch, wie ein Mantra die Worte vor mich hin: Vater! Ach Vater..!

Autor*in: Gastautor*in

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