Vier Wochen wohnte ich zum Zeitpunkt dieser Situation in meiner ersten eigenen Wohnung. So schnell hatte ich nicht mit einem Notfall gerechnet.

Ich war noch mit einer Freundin bei Ikea. Wir suchten mir ein Sofa aus und nahmen das ein oder andere kleine Teil mit. Sie brachte mich nach Hause, ich baute ein Regal auf und merkte schon, dass mein Körper nicht mehr mit mir ist. Ich beeilte mich noch fix zu duschen und legte mich mit Wärmflasche und Medikamenten ins Bett. Ich war die Nacht mehr wach als alles andere. Rannte mindestens zweimal die Stunde aufs Klo, weil mein Bauch so weh tat. Schmerzmittel konnte ich wie Bonbons nehmen. Keinerlei Wirkung. Mehrfach überlegte ich die 112 anzurufen, doch irgendwie ging es mir noch zu gut. Nachts schrieb ich meiner Mutter, dass ich am kommenden Tag zu meinem Arzt müsse und ob sie dort anrufen könne und mich einsammeln könnte.
Am morgen brachte sie mich zum Arzt. Nach dieser Nacht war ich ein nervliches Wrack: Erst die wochenlange Hitze, durch die ich nicht schlafen konnte, und dann diese Bauchschmerzen. Morgens war es etwas besser. Sicherheitshalber ließ ich mir stärkere Medikamente verschreiben, holte sie sofort, kaufte mit meiner Mutter noch Massen an Pudding und Joghurt und ließ mich dann Zuhause absetzen. Ich legte mich wieder mit Wärmflasche hin, nahm das stärkere Medikament und diverse andere Medikamente, um vom Schmerz wegzukommen und einfach zur Ruhe zu kommen. Ich schlief ein, wurde wach und begann zu erbrechen. Ab da spielte ich mit dem Gedanken doch die 112 anzurufen, denn was passiert, wenn ich zu lange warte und selbst nicht mehr in der Lage bin dort anzurufen oder die Türe zu öffnen?
Nachdem ich mehrfach erbrach entschied ich mich dazu. Natürlich schickte die Feuerwehr sofort Sanis vorbei. Als es klingelte raffte ich mich auf, um die Tür aufzumachen. Meine Beine schlackerten und ich hielt mich an der Tür fest bis die Sanis oben ankamen. Sie setzen mich hin und checkten meine Vitalwerte. Blutdruck und Puls viel zu hoch. Sie fragten mich in welcher Klinik ich bekannt sei. Standard Menschen mit seltenen Erkrankungen. Doch hier war ich bisher in keiner Klinik bekannt. Es stellte sie vor ein Rätsel. Welche Klinik ist geeignet? Während sie überlegten, packte ich ein paar Sachen in einen Beutel. Ich stakste mit einem Sani vor und einem hinter mir die Treppe runter, zum Rettungswagen. Sie fuhren in die Klinik um die Ecke. Ich war kreidebleich mit tiefen dunkeln Augenringen, wie ich später sah. Im Krankenhaus angekommen reagierte sofort der Arzt: „Ihnen geben wir erst einmal etwas gegen die Schmerzen“. Während das Personal an meinen Venen verzweifelte, bat ich darum, dass mir eine „Kotzschale“ gegeben wird – falls ich nochmal brechen sollte. Ich erbrach, der Arzt gab mir etwas gegen die Übelkeit. Meine Vitalwerte normalisierten sich allmählich und der Arzt beschloss ein Ultraschall zu machen. Erschreckender Weise stellte sich dabei heraus, dass es mir schlechter ging als ich dachte: Darmverschluss. Mein Darm arbeitete kaum noch und war auf mehr als das dreifache ausgedehnt. Also kein Wunder, dass mein Bauch so weh tat.
Ich kam auf Station und wurde konservativ behandelt. Operiert wird erst im absoluten Notfall. Einige Stunden später konnte ich wieder gehen. Ich merkte aber, dass gehen noch zu viel Unruhe im Bauch auslöst. Nachts verschwand ich dann von Station, da ich soweit stabil war, ein dauerhaftes helles Piepen auf der Station war und meine Bettnachbarin schnarchte. Mysteriöser Weise durfte ich sogar essen.
Am kommenden Tag wurde ich auf die Chirurgie verlegt. Ein ewiges Hin und Her der Ärzte war die Folge. Jeder sagte was anderes und schließlich bekam ich nichts mehr zu essen. Irgendwann war es soweit, dass ich echt sauer wurde und mich fragte, ob die Leute mich umbringen wollen. Nichts essen bedeutet für mich einen hohen Flüssigkeitsverlust und noch mehr Unruhe im Darm. Im Akutfall, wenn der Darm fast gar nicht arbeitet, ich ständig erbreche, macht es ja Sinn. Aber alles darüber hinaus schadet meinem Körper. Doch leider können viele Ärzte nur von Lehrbuchseite zu Lehrbuchseite denken… Ich wurde wie ein Standardfall behandelt. Die Pflege schüttelte den Kopf und am Folgetag bekam der Arzt bei der Visite kontra. Seine Reaktion waren diverse Fragen. Wie es mir ginge, ob ich noch brechen würde, wie mein Stuhlgang ist. Seine letzte Frage war dann „Wie ist ihr Stuhlgang?“. Meine Antwort leicht sickig, aber dennoch im normalen Ton „Flüssig natürlich. Was soll da denn sonst rauskommen?“ Daraufhin drehte der Arzt sich um, ging langsam raus und meinte „Sie müssen mir meine Fragen schon beantworten.“ Ich rief ihm nur noch hinterher „Flüssig. Das habe ich Ihnen aber gerade auch beantwortet“. Wortlos und ohne jegliche Reaktion ging er raus. Nach dieser Inkompetenz verlangte ich den Oberarzt, welcher kam und bewies, dass dieses Krankenhaus auch kompetente Ärzte hat. Wir besprachen das weitere Vorgehen, welches sein Wissen mit meiner Erfahrung übereinstimmen ließ. Problem: Er schrieb unsere Entscheidung nicht auf, sodass der Kampf ums Essen – und es war vorerst nur flüssig und breiig – weiterging.
Zwischenzeitlich bekam ich eine demente Dame aufs Zimmer. Am zweiten Tag machte sich mich verrückt. Sie versuchte über Stunden auszubrechen. Ich verstand nicht mal den Fernseher, mit dem ich mich ablenken. Nach Wochen ohne viel Schlaf ging mir das an die Substanz. Ich war zu schwach den Raum zu verlassen und stand kurz vorm Zusammenbruch. Durch den Stress fing ich wieder an zu krampfen und schließlich zu erbrechen. Ich wurde sofort verlegt, damit sich mein Zustand wieder bessert. Nach einigen Stunden ließen die Schmerzen und die Wirkung der Medikamente wieder nach, sodass ich zu mir kam. Ich hatte Glück mit jemand sehr liebes auf dem Zimmer zu liegen und mir ging es schnell wieder besser. Eine aufgeschlossene und ruhige Dame. Am folgenden Tag besprach der Oberarzt mit mir das weitere Vorgehen. Unser gemeinsamer Plan ging auf und mein Zustand stabilisierte sich langsam soweit, dass ich nach einer Woche entlassen werden konnte.
Der „Wegrenn-Arzt“ musste auch nochmal bei mir zur Visite kommen. Er kam klein gefaltet rein. Er hat anscheinend ordentlich Kontra vom Oberarzt bekommen. Dennoch zeigte er nochmal, dass Sozialkompetenzen ein Fremdwort für ihn sind mit einem dämlichen Spruch „Haben Sie wieder bessere Laune?“. Ich dachte mir: Tief durchatmen. Der Vogel wird vermutlich niemals verstehen. Und amüsierte mich lieber weiter über ihn.

Bei der Entlassung war ich noch so geschwächt, dass ich vorübergehend zu meiner Mutter ging. Mich allein zu versorgen traute ich mir noch nicht zu. Seitdem habe ich leider immer noch mal mehr und mal weniger Krämpfe und bin noch sehr vorsichtig mit dem Essen. Seit einigen Tagen bin ich wieder fit genug, um meine Hausarbeiten für die Uni zu schreiben. Ich hoffe, dass es sich nun weiter stabilisiert und ich den Rest des Jahres Ruhe vor meinem Bauch habe!

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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