Auch wenn ich über den Berg war, war das Ende des Weges, den ich gehen musste, noch nicht in Sicht. Zunehmend ging es mir immer besser, doch mein fallendes Gewicht machte den Schwestern und Ärzten etwas Sorge. Ich wog nur noch 47 kg bei einer Größe von 1,80m – nicht gerade ein tolles Gewicht. Als ich das erste mal wieder vom Spiegel stand, war ich über meinen Zustand schockiert: Ich war kreidebleich, hatte sehr dünne Arme und Beine und man konnte selbst am Rumpf mein Gerippe sehen. Und das alles, obwohl ich so viel ich konnte aß – morgens, mittags, abends, nachts. Immer wenn ich Hunger hatte. Ich bekam einige Zeit über Nacht künstliche Ernährung und diverse hochkalorische Produkte wurden mir angeboten. Und irgendwann nahm ich endlich wieder zu.
Ich fühlte mich langsam besser, bewegte mich jedoch nicht viel, da meine Lunge und die Entzündung im Bauch noch schmerzten. Dazu hatte ich noch Drainagen und hing oft am Sauerstoff. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine Schmerzpumpe mit Opiaten, doch nachdem ich mich überdosierte – da sie auf mein ursprüngliches Gewicht eingestellt war – wurde mir diese weggenommen. Ich bekam die Medikamente in Tablettenform und nahm sie brav und irgendwann entschied ich mich dazu die Medikamente abzusetzen, da ich das Gefühl hatte, dass sie nichts bringen – und so war es auch.
Jedes Mal wenn ich aufstehen wollte, stockte mir der Atmen. Vor Schmerzen konnte ich weder ein- noch ausatmen. Ziemlich beängstigend… Aufstehen war ein Kampf gegen mich selbst: Ich wollte aufstehen, weil ich wieder fit werden wollte. Mein Körper signalisierte jedoch jedes Mal wie „kaputt“ er noch ist.
Dazu kam damals noch ein weiteres Problem… Immer wenn die Antibiose wegen der Bauchfellentzündung abgesetzt wurde, fieberte ich wieder auf. Immer wieder meldeten sich Kopfschmerzen und kurz darauf fing ich an zu bibbern.
Nach einigen Wochen begann ich wieder Spaß zu haben und ich konnte mich über unmögliche Zimmergenossen wieder aufregen. Bei ca. 25 Leuten, die ich kennen lernte, habe ich aufgehört zu zählen. Es waren sehr schräge und sehr coole Leute dabei. Wir hatten eine Konstellation wo wir „Krankenhauspartys“ gemacht haben: Zwei junge Dinger mit FAP, eine junge Frau mit Lungenkrebs und eine mit Darmkrebs. Musik an, gemeinsam singen, Essen gegenseitig zuwerfen (Süßigkeiten/Knabbereien). Einmal stand ein Infusionsständer in Schusslinie und ich meinte nur ganz trocken „Wetten ich ziele jetzt so schlecht, dass ich genau den Ständer treffe?“ -„Den triffst du nicht. Der ist viel zu schmal!“ 3x dürft ihr raten wo die Süßigkeit hingeflogen ist: Gegen den Infusionsständer und dann quer durch den Raum – in die falsche Richtung versteht sich. 😀

Regelmäßig kam der Physiotherapeut zu mir und tat mir etwas Gutes: Immer wieder eine heiße Rolle (feuchte heiße Tücher mit etwas ätherischen Öl dran, die man auf den Rücken streicht – göttlich, sag ich euch!) und gelegentlich ist er auch mit mir auf den Flur gegangen und hat mit mir Treppensteigen geübt. Gehen konnte ich nur wenige Meter, danach war ich platt.

Als es mir besser ging, wurde ich entlassen und kam in eine Reha-Klinik. Bei meinem Talent habe ich die inkompetenteste Reha der Welt erwischt.
Ich wurde mit „Sie müssen sofort zur Bluttransfusion ins Krankenhaus“ begrüßt, nachdem ich ewig durch dieses Haus gejagt wurde und mich weigerte mich zu bewegen. Die Therapien waren viel zu umfangreich: Bei der Krankengymnastik wurde mir jedes Mal schwarz vor Augen, Nordic Walking hab ich verweigert, die Hockergymnastik war gut, die Atemtherapie war auf alte Leute ausgelegt… Ich wurde dermaßen „totgearbeitet“, dass ich auf einen Rollstuhl angewiesen war. Pflegepersonal, dass mir hilft irgendwohin zu kommen gab es nicht. Es ging soweit, dass ich mein Zimmer nur noch für Therapien verlassen konnte und nach wenigen Tagen hat die Küche es nicht mehr hinbekommen meine Mahlzeiten auf meinen beleidigten Darm anzupassen. Folglich saß ich da lange mit viel zu wenig Essen und irgendwann trieb es der Hunger rein. Die Quittung? Durchfall vom feinsten, Puls von über 200, schön am dehydrieren und die Reha legte mir keine Infusion sondern behauptete, ich hätte eine Erkrankung des Herz-Kreislaufs-System und müsse Medikamente nehmen…
Bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion kam ich ins Krankenhaus – so wie es mit anderen Patienten auch passierte: Wenn sie ins Krankenhaus kamen, dann nur heimlich… Stunden lange habe ich nach einem Krankenwagen jammern müssen.
Nachdem ich im RTW ein nettes Gespräch mit den Sanitäter hatte, kam ich vom Regen in die Traufe: Dieser Ort war anscheinend verflucht, da die Ärzte der Klinik genau so inkompetent waren wie die der Reha-Klinik. Diesmal wurde ich mit „Mit Patienten wie Ihnen möchten wir gar nichts zu tun haben“ begrüßt – weil sie meine Krankheit vermutlich nicht kennen und mein Krankheitsverlauf nicht der Beste war.
Mir wurde eine Schmerztherapie aufgezwungen und ich bekam die ersehnte Infusion. Ich hatte wieder Fieber und wollte gerne in die Uni verlegt werden. „Ja ja“ sagte man mir – bis den Ärzten auffiel, dass man einem Patienten nicht mal eben verlegen kann. Nachdem mir gesagt wurde wie schwer krank ich doch sei – was absolut dramatisiert war – wurde ich plötzlich vor die Tür gesetzt. Mit Fieber versteht sich. Schließlich sei ich kern gesund und es gäbe keinen Grund wieso ich im Krankenhaus läge. Meine Mutter telefonierte mit Uni. Dabei stellte sich heraus, dass die Klinik Kontakt zu der Uni aufnahm und ebenfalls dort behauptete, ich sei gesund. Als ich versuchte den Arzt der Station zu finden, war dieser plötzlich verschwunden. Irgendwann fand ich im Dienstzimmer einen anderen Arzt, der mich mit „Sie dürfen hier nicht rein“ begrüßte. Ich entgegnete ihm mit „Ist mir doch scheiß egal. Wo ist Dr. X?“ (Eigentlich bin ich nicht so böse, aber diese Ärzte verstanden offenbar nur diese Sprache) Er:“Nicht hier.“ Ich:“ Sind Sie nun der diensthabende Arzt?“. Er antwortete mit „Ja, warum?“ Ich: „Gut, dann sind Sie nun für mich verantwortlich. Können Sie mir bitte erzählen, warum ihr Kollege der Uni so eine Scheiße erzählt hat:“  Natürlich hatte er keine Antwort darauf, aber im Gegensatz zu dem anderen Verschwand der nicht auf magische Art und Weise.
Mein Vater hat dann extra hunderte Kilometer auf sich nehmen, packte mich ins Auto und brachte mich zur Uni. Laut Entlassungsbrief war ich top fit, in der Realität war ich ein Häufchen Elend mit Fieber. In der Uni angekommen wurde nochmals Fieber gemessen, ich wurde in einen Raum gebracht, bekam ein Kissen und eine Decke und als der Pfleger sah wie ich bibberte, lief er sogar extra in den OP-Bereich, um mir eine angewärmte Decke zu holen. Ich kam ins CT, wurde irgendwann auf Station gebracht, bekam Antibiose und wurde weiter durchgecheckt. Nach ca. 1 – 2 Wochen wurde ich entlassen und fuhr nach Hause – es war der 21.Dezember, ins Krankenhaus kam ich Anfang Oktober…
Nach so langer Zeit wollte ich „mein“ Pferd wiedersehen und da wir eh am Stall vorbei fuhren, musste die Kraft für einmal über die Nase streichen reichen. Zuhause erholte ich mich relativ gut und konnte mich immer mehr bewegen. Ich konnte mich kaum auf meinen Beinen halten, doch kurz vor Weihnachten habe ich mich wieder aufs Pferd gesetzt. Es MUSSTE einfach sein. Geplant war nur ein bisschen „Ponyreiten“, doch es fühlte sich so gut an, dass ich tatsächlich ein paar Minuten in allen Gangarten ritt. Die Quittung gab es natürlich auch wieder: Fieber. Aber das war es mir wert. Meine Psyche brauchte diese unbeschwerten Minuten, um beginnen zu können zu heilen.

Mich plagten noch ca. 1 Monat die Fieberprobleme. Ich kam immer wieder ins Krankenhaus und bekam Antibiose. Irgendwann entschieden die Ärzte, dass sie nichts mehr für mich tun könnten, mich stationär aufnehmen und mich nur noch symptomatisch behandeln. Mein Immunsystem müsse das nun selbst schaffen. Mir ging es ein paar Tage echt dreckig. Ich hatte Krämpfe, habe ständig erbrochen, hatte Durchfall. Aber nachdem ich das einmal ohne Antibiotikum durchgestanden hatte, heilte meine Bauchfellentzündung komplett ab und es gab kein Fieber mehr und keine Krämpfe mehr.

– Meine Geschichte ist zwar noch nicht zu Ende – schließlich lebe ich noch -, aber die bis dato geschilderten Erlebnisse sind die Prägendsten, Zum Teil habe ich versucht mich kurz zu fassen und teils habe ich versucht das ganze ein wenig aufzulockern.
Ich denke, ich werde noch ein paar „lustige Geschichten“ aufschreiben. Wie ich mit Menschen umging, die anstrengend waren, welche Spitznamen ich ihnen gab usw. Dazu werde ich auch noch was zum Thema Stoma, Schule + chronisch krank… Ach mal schauen, was mir da noch alles in den Sinn kommt. –

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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