Gastbeitrag von: Ferdinand Saalbach

Da steht er also. Der Flügel, auf dem das jetzt alles endlich passieren wird. Der einen Meilenstein setzen wird, von dem ich in der einen oder anderen Form geträumt habe, seit ich ein kleines Kind bin. Ein Traum, der mir ausgeredet wurde. Über den mir gesagt wurde, dass ich dafür nicht gut genug sei. Eine vermeintliche Wahrheit, gegen die ich angekämpft habe, die ich widerlegen wollte, irgendwie beharrlich überzeugt war, dass ich es allen irgendwann beweisen werde. Vor allem meinem Vater. Der meine Träume immer klein gemacht hat. Und dann habe ich den Traum irgendwann selbst beerdigt. Mich überzeugen lassen, dass es einfach nicht reicht. Meinem Vater recht gegeben und die Musik sein lassen. Um ein normales Leben zu führen. Was letztlich alles andere als das war.

Mehr als zwanzig Jahre später stehe ich jetzt hier. Und vor mir steht dieser Flügel. In einem Tonstudio. In wenigen Minuten werde ich mein erstes eigenes Album einspielen. Ich werde auf diesem Flügel spielen, ich werde in das daneben gestellte Mikrofon singen. Ich werde das, was ich hier produziere, veröffentlichen. Und ich werde mich dafür nicht schämen.

Mein Herz schlägt schon ganz schön, als mich Joe, der Produzent, begrüßt. Wir haben uns schon zwei Mal gesehen, aber trotzdem bin ich unheimlich unsicher. Ich habe keine Ahnung, wie ich all das hier angehen muss. Klar, ich habe Gesangsunterricht, ich kenne meine Einsing-Übungen. Ich kenne meine Stücke, ich kann mich ein wenig einspielen. Aber schon dieser Vorgang kostet mich Überwindung. Dass gleich jemand hören wird, wie ich mich einspiele und vielleicht denken könnte, dass das aber ziemlich grober Unfug ist, den ich da mache. Dass mein Klavierspiel schon reichlich simpel sei und dass es ziemlich lächerlich sei, damit auf eine Bühne zu wollen. Dass mich jemand beim Einsingen hört und sich fragt, wieso man mit so einer Stimme denkt, man müsste in ein Tonstudio gehen. Ganz bekomme ich diese zweifelnden Sätze wahrscheinlich nie aus dem Kopf. Aber ich kann ihnen ruhig erwidern, dass ich ein gutes Level erreicht habe, sowohl was mein Klavierspiel angeht, als auch was meinen Gesang angeht. Ich habe genug positives Feedback bekommen, dass ich mich dessen nicht mehr schämen muss. Und Joe hat in seiner langen Karriere bestimmt schon so viel gehört, dass der gar nicht mitbekommt, was ich hier mache.

Als wir anfangen, achte ich penibel genau darauf, keine Fehler zu machen. Jeder Fehler würde bedeuten, dass wir noch mal eine neue Aufnahme brauchen würden, denke ich. Und habe Angst, mich zu verspielen. Genau so wie ich beim Singen Angst habe, Töne nicht zu treffen. Joe merkt das und macht mich sanft darauf aufmerksam, dass ich etwas loslassen darf. Als ich die Aufnahmen zum ersten Mal mit ihm gemeinsam durchgehe, sehe ich, dass man Fehler in der einen Aufnahme ganz einfach mit dem jeweiligen Gegenstück in der zweiten oder dritten Aufnahme austauschen kann. So kann man im Studio die Dinge reparieren, die in der Aufnahme nicht ganz perfekt geklungen haben.

Ich bin heilfroh, dass wir meine Missgeschicke ausgleichen können. Aber er sagt mir, dass er beeindruckt sei, wie wenig Fehler ich machen würde. Dass er bei anderen Musikern sehr viel mehr ausgleichen und nachschieben müsste und dass bei mir sehr vieles einfach rein läuft. Ich höre, wie er das sagt und ich sage mir auch, dass ich das annehmen soll, aber ein (nicht all zu kleiner) Teil in mir will ihm einfach nicht glauben und behauptet, er würde das nur sagen, um mich nicht zu verletzen.

So bleibt während des ganzen Aufnahmeprozesses immer ein Stück Unsicherheit an meiner Seite. Aber ich habe gelernt, dass diese Unsicherheit ein Stück weit dazu gehört. Ich weiß, woher sie kommt. Ich kann sie zuordnen. Es nutzt nichts, sie zu ignorieren oder wegschließen zu wollen. Sie gehört dazu. Zumindest momentan noch.

Als wir durch sind, bin ich gespannt darauf, das Ergebnis zum ersten Mal anzuhören. Darüber erzähle ich dann im zweiten Teil.

Autor*in: Gastautor*in

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