Was bedeutet es eigentlich eine seltene Erkrankung zu haben? Welche Probleme und Schwierigkeiten bringt es mit sich?

FAP gehört zu den seltenen Erberkrankungen mit einer Häufigkeit von 1 zu 10.000. Ich persönlich finde es noch nicht mal so selten und kenne die ein oder andere betroffene Person, aber um eine richtige Selbsthilfegruppe sein und gute Kontakte zu haben, reicht es für mich nicht. Abgesehen von Sozialen Medien gibt es hier keinen gebündelten Austausch bezüglich dieser Erkrankung. Mal Vorträge von Medizinern, die sich darauf spezialisiert haben, oder ab und an mal ein Treffen – von dem man kaum Wind bekommt und wo sicher auch nicht so viele Leute sitzen wie in Selbsthilfegruppen.
Für mich gibt es als FAPler zwei Hauptprobleme: Mangelndes Wissen sowie Überforderung im Gesundheitssystem und mangelnde Zugehörigkeit zu Gruppen.

Ärzte und Krankenhäuser sind meine absoluten Lieblingsthemen – da würde ich am liebsten schreiend wegrennen. Von Medizinstudenten, die meinen „Ja klar, FAP kenn‘ ich natürlich“ bis zu alt eingesessenen Medizinern, die a la „Welche Grunderkrankungen haben sie? Faaaaamiliääääre a…?“, ist alles dabei. Das Problem dabei ist jedoch meiner Meinung nach nicht einmal die Unwissenheit an sich – das ist nur das Nebenproblem – sondern mangelnde (Sozial-)Kompetenz oder auch das „übersteigerte Behauptungsgefühl“ von einigen, viel zu vielen, Medizinern. Ich habe bisher genau zwei Ärzte erlebt, die offen ansprachen, dass ihnen FAP unbekannt sei, sich bei mir erkundigten was das ist, welche Probleme bei mir typisch oder bekannt sind und ggf. wie sie am besten handeln sollten. Und das waren die absoluten Ausnahmen! Standardsituationen sind zum Beispiel die Suche nach dem Blind- und Dickdarm auf dem Ultraschall, wo sie dann zu ihrem Entsetzen feststellen, dass diese Organe durch meine OPs nicht mehr auffindbar sind. Schockierend aber auch. ^^
Ebenfalls Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen stellen ein großes Problem dar. Zu über 90% wird mir bei akuten Beschweren, wie sie die letzten Monate auftraten, ein Magen-Darm-Infekt zugeschrieben. Ich muss fast jedes Mal dafür kämpfen, dass ich richtig behandelt werde: Infusion und die richtigen Medikamente erhalte, damit ich wieder schnell auf die Beine komme. Stattdessen muss ich oft um Infusionen kämpfen, bekomme oft erst spät die benötigten Medikamente, sodass mein Zustand sich deutlich verschlechtert und teils weitaus mehr Medikamente notwendig sind als bei früherer Gabe notwendig gewesen wären (Stichpunkt „Schmerz durchbrechen“). Tagelang werde ich auf Diät gesetzt. Bekomme meist gar nicht zu Essen. Folgen? Massiver Flüssigkeitsverlust durch Durchfälle – oft gekoppelt mit bleibenden Bauchkrämpfen, wundem Hintern und instabilen Kreislauf. Durchschnittlich muss ich etwa 3 Tage mit Ärzten rumdiskutieren, dass ich etwas essen darf und deren Standardbehandlung in meinem Fall meist keinen Sinn macht. Es ist purer und unnötiger Stress. Wenn Ärzte sich nur ein oder zwei Minuten mehr Zeit für den Patienten nehmen würden, sich die persönlichen Erfahrungen anhören würden, würden diese Probleme sich deutlich verringern. Natürlich ist dies bei der Überlastung der Kliniken und Notaufnahmen schwierig, aber ich würde mal behaupten, dass ein „Terror-Patient“ die Ärzte weitaus mehr Zeit und Nerven kostet als ein oder zwei Minuten zuhören und die Individualität des Patienten wahren.

Aber nun zum zweiten Problempunkt: Die mangelnde Zugehörigkeit zu Gruppen.
Da meine Krankheit bekannt ist und ich bereits als Kind in einem Vorsorgeprogramm gelandet bin – zumindest mehr oder weniger – ist der Krebs bei mir nicht ausgebrochen. Es war kurz vor knapp, aber ich hatte keinen Krebs und folglich waren entsprechende Therapien nicht notwendig. Somit bin ich kein Krebspatient oder ehemaliger Krebspatient und werde bei den meisten Organisationen, Goodies und Co ausgeschlossen. In andere Schienen, wo ich gerne mal mir reingeschoben werden, wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen gehöre ich aber auch nicht. Also weitere Goodies, wie Möglichkeiten spezieller Stipendien, auch weg.
Ich finde nicht, dass ich unbedingt diese Goodies brauche, aber irgendwo denk ich mir auch… Hallo, ich habe auch gekämpft, scheiß Phasen gehabt, werde immer wieder mit den Auswirkungen meiner Genmutation und des Verlaufs konfrontiert, mache immer wieder Abstecher im Krankenhaus, habe es im Job und in der Uni teils schwieriger. Ich möchte auch mal dazu gehören und Möglichkeiten eröffnet bekommen.
Ja, ich habe Möglichkeiten mich zu engagieren. Ich habe durch den Blog eine super Truppe gefunden, wo jeder dazugehört, jedem zugehört wird und unterstütz wird. Aber das basiert auf meiner Initiative und dem Willen aufzuklären und ist kein Goodie a la „du hast es schwer im Leben, deswegen versuchen wir dir etwas gutes zu tun“.

Bitte missversteht diesen Beitrag nicht. Er soll nicht zynisch, schlecht redet oder sonstiges sein. Er soll lediglich verdeutlichen, welche größeren und kleineren Probleme FAP mit sich bringen kann. Ich würde einfach gerne zu einer Gruppe dazu gehören und dieselbe Anerkennung erhalten wie andere.

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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