Seit 6 Jahren bin ich nun im Verein aktiv.
6 Jahre in denen ich die schönsten und schrägsten Dinge erlebt habe. Vom Gefühl wie „Kleber“ Menschen zusammen zu halten bis hin zum Kennenlernen der für mich wichtigsten Menschen im Leben. Angefangen hatte alles in einem kleinen Kellerraum. Gemeinsam mit 20 anderen. Wir haben Sushi gemacht.
Wenn ich sage, dass mir diese Menschen dort das Leben erleichtert und sogar gerettet haben, dann lüge ich keinesfalls. Gesagt habe ich ihnen das noch nie. Es hört sich übertrieben an und irgendwie doch sehr komisch – aber auch unfassbar richtig.
Dennoch halte ich diese Menschen heute auf Abstand, gehe den meisten eher aus dem Weg. Ich habe viele Fehler gemacht, welche mir mein Kopf nun immer wieder vorhält.

Ich traue mir zu wenig zu

Seit 2016 helfe ich bei der Organisation des Christopher Street Day (CSD). Das ganze Team habe ich unfassbar ins Herz geschlossen, auch wenn ich wahnsinnige Angst davor habe, meine eigenen Ideen einzubringen. 2017 war dann mein erster CSD, den ich sogar mitorganisiert habe. Im Laufe der Jahre  sogar eine Demoparade mit mehreren hundert bis tausend Menschen aufstellen durfte und Verantwortung übernehme bzw. übernahm. Durch Corona sind große Feste ja aktuell nicht möglich. Kurzzeitig wurde ich als Teil der Paradeleitung in Betracht gezogen. Habe das damals jedoch abgelehnt, die Angst vor Fehlern ist einfach viel zu groß.
Und genau dort ist der Knackpunkt: Angst vor Fehlern.

Neue Ziele

Für dieses Jahr habe ich mir das Ziel gesetzt, bei mindestens der Hälfte der Sitzungen teilzunehmen. Das ist schwer für mich, aber ich will es unbedingt schaffen! Ihr müsst wissen, dass ich vor ein paar Jahren innerhalb des Vereins überall und nirgends war. Termine konnte ich auswendig nennen, kannte die zuständigen Menschen und ich wusste einiges.
Das Haus des Vereins war über die Jahre quasi mein Zuhause geworden. Ich war stiller Beobachter, immer irgendwie anwesend. Dann landete ich auf der Straße und meine Leistung sank immer mehr.
Nun ist es auch so, dass es nicht nur eine Sitzung im Monat ist, sondern eben mehr. Es gab Phasen, da hatte ich an 5 Tagen die Woche eine Sitzung. Wenn ich weiter mit der Aufarbeitung der kPTBS voran komme, werde ich auch definitiv weiter und wieder mehr Herzblut in diesen einen Tag im Jahr stecken. Nicht weil ich es mir beweisen will, sondern weil ich den CSD für sehr wichtig halte, ich die Menschen dort mag.

Durch die Vereinsarbeit habe ich nur Vorteile

Lernen. Das ist das, was ich liebe. Und in den letzten 6 Jahren habe ich gerade durch die Vereinsarbeit einiges gelernt. Neben „formalen“ Dingen (Protokoll schreiben, klug Paradesterecken gestalten, mit Technik umgehen) auch zwischenmenschliche Dinge (Menschen lesen, ohne Angriffe zu diskutieren,…). Es gibt noch weitere Vorteile; Ist man ehrenamtlich aktiv, fällt man meist bei Bewerbungen auf. Ich habe hierdurch bessere Karten auf einen Studienplatz. Auch sind immer Menschen da, auf die im Notfall verlass ist.
Ich hab durch diese Menschen andere Umgangsformen mit Stress, Angst und Freundschaft kennengelernt. Im Nachhinein würde ich sogar sagen, dass die kPTBS im entstehen irgendwie abgefedert wurde. Das natürlich nicht durch Sitzungen um einen CSD zu organisieren, sondern durch das Drumherum. Mit tollen Menschen Essen gehen (Ich kann das nur mit den wenigen, drücke mich eigentlich vorm Restaurant!), gemeinsame Unternehmungen wie Radtouren, private Treffen und vieles mehr.

(Bemerkung am Rande: Natürlich hat ein Ehrenamt auch Nachteile! Immerhin sind es oft lange Sitzungen mit vielen Diskussionen, die meist am Abend stattfinden.)

„Kleinvieh macht auch Mist“

Es gibt immer mehr kleine Erfolge: Sitzungen kann ich immer länger wahrnehmen, ohne Krampfanfälle zu haben oder die Konzentration zu verlieren. Zwar muss ich nach wie vor früher abbrechen, aber ich will’s unbedingt schaffen, wieder für meine Verhältnisse normal dabei sein zu können – mit kleinen Einschränkungen versteht sich. Kleine Pausen sind ein muss, aber eben nicht unmöglich. Auch möchte ich wieder lernen, vor mehr als 15 Menschen zu Sprechen. Ich kann besser Schreiben als Sprechen.
Zu Beginn im letzten Herbst hatte ich bereits Panik, wenn ich mich Vorstellen sollte. Also meinen Namen sagte. Das hat sich bis heute zum Glück wieder gelegt.
Auf die kommende Sitzung freue ich mich mindestens genauso sehr, wie ich Angst davor habe. Leider fehlt mir die Woche, in welcher die letzte CSD Sitzung war, kann nicht sagen ob ich Anwesend war. In den kommenden Monaten muss ich allerdings Protokoll schreiben. Auf der einen Seite eine super Übung, aber auch eine große Herausforderung. Das wird, notfalls muss ich meinen Mut zusammen nehmen und fragen, ob wer anderes zwischenzeitlich übernehmen könnte.

Mutmachmenschen

Mit Angst kann man lernen umzugehen. Es ist nichts schlimmes, auch wenn das so scheint. Es braucht eben Zeit, den Mut für den Fortschritt aufzubringen. Ich bin dankbar für die Leitung der Arbeitsgruppe, auch wenn ich aktuell Null mit ihnen zu tun habe. Dennoch habe ich die Chance mitarbeiten zu können – somit an diesen Herausforderungen zu wachsen. Und falls ich doch mal für Gerede sorge, dann hab ich wenigstens für Unterhaltung gesorgt.

 

 

 

Autor*in: Glückskind

Wie man aus dem persönlichen Horrorfilm 'ne Komödie macht? Man kippe Synästhesie, eine kPTBS, Queer* sein und ganz viel Glück in einen Topf. BOOM! Schau an, das Glückskind lebt!

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