Ich wurde vor knapp 4 Wochen durch eine andere Mitpatientin bzgl. Meines Traumas getriggert. Sie sprach im Aufenthaltsraum über offensichtliche Triggerthemen die in einer Traumastation nicht gerade selten vertreten sind.

Schnell musste ich feststellen, dass ich Probleme mit meinem Trauma das ich dachte überwunden zu haben, habe.

In mir wuchs immer mehr die Einsamkeit, Schuld machte sich auch wieder breit.

Ich gab mir die Schuld, für die Zeit vor meinem Trauma: „Hätte ich anders gehandelt, wäre es nicht dazu gekommen“ – „Mein ganzes Verhalten hat zu meinem Trauma geführt“.

Die unberechtigte Schuld war extrem schwer auszuhalten. Ich hatte fast jede Nacht Albträume von jeder Form der Grenzüberschreitung.

Ich hatte extreme Angst mein Trauma noch mal mit meiner Therapeutin zu besprechen, ich dachte wenn ich es jetzt anspreche, dann verliere ich den Fokus meiner anderen eigentlichen Ziele weswegen ich gerade in der Klinik bin.

Allerdings hat das Traumathema immer mehr Wellen geschlagen. Das Gefühl der Einsamkeit und Leere ging einfach nicht weg. Die Bedürfnisse nach Geborgenheit, Nähe, Liebe und Zuwendung waren so groß das ich komplett hilflos war. „Wie soll ich mir meine Bedürfnisse selbst erfüllen?“.

Ich musste dann an einem Wochenende mein Tagebuch von 4 Tagen nachschreiben. Ich hatte dann in jedem der Tagebucheinträge mehr und mehr reflektieren können. Immer mehr Leere öffnete sich in meiner Magengegend.

Ich hatte bemerkt da ist ein diffuses Gefühl das ich kaum greifen konnte. Ich bin dann in den Innenhof meiner Station und habe eine Playlist von trauriger Musik angemacht und in mich hineingehorcht. Welche Wunden ich da aufreißen würde war mir gar nicht so bewusst.

Auf einmal bekam ich Zugang zu einem Kindmodus das ich so noch gar nicht kannte. Mir schossen Gedanken und Gefühle durch den Kopf, die ich kaum greifen konnte.

Zitat aus meinem Handy:

„Ich fühle mich von mir selbst betrogen, was habe ich mir damals angetan? Ich habe mich selbst verlassen, einen Teil in mir sterben lassen der gerettet, geliebt und beschützt werden wollte. 

Wie kann ich mir selbst verzeihen?

Ich fühle Reue. Keine Schuld. Wie bitte ich mich selbst um Vergebung? 

Ich habe das Gefühl innerlich zu sterben, ist das die Vergangenheit oder ist es aktuell?“

Es brach irgendwie so viel in mir aus als würde ein Vulkan seinen gesamten Inhalt an die Oberfläche katapultieren. Ich fühlte mich hilflos, ohnmächtig, traurig und komplett verlassen, verlassen von mir selbst. Ich kann es nicht so ganz erklären was ich damit meine um es irgendwie ansatzweise verständlich zu machen.

Ich habe in meiner Jugend einen Modus entwickelt der mir meine Bedürfnisse nach Liebe, Geborgenheit und Nähe erfüllen wollte. Ich war schon früh dabei mich in Datingplattformen umzuschauen, der Hoffnung den richtigen Menschen für mich zu finden folgen.

Ich musste leider schnell feststellen, dass in der Datingszene eher unverbindliche Dinge gesucht und angeboten werden. Leider habe ich mich dann darauf eingelassen. Tief in mir wusste ich das es der falsche Weg ist. Aber der Bewältigungsmodus war stärker als ich. Er wollte mein verlassenes Kind retten und trösten.

Ich habe mich immer mehr von mir selbst entfernt, mich selbst verlassen. Mit Menschen geschlafen um Bedürfnisse zu erfüllen die in der Kindheit nicht ausreichend erfüllt wurden. Ich habe einen Teil in mir verloren, mich verloren.

Ich glaube an dem Abend an dem alles aus mir rausbrach hat sich mein verlassenes Kind gemeldet. Es ist aus dem Käfig in den ich es eingesperrt habe ausgebrochen, es konnte sich befreien.

Mittlerweile denke ich ein wenig anders. Schuld trage ich keine mehr in mir. Schuld war es wohl nie. Es war wahrscheinlich immer nur das Gefühl von Reue welches ich so nicht benennen konnte.

Mir ist klar geworden, dass mein Dating nur ein Bewältigungsmodus war, ein Modus der mir helfen wollte meine Bedürfnisse zu erfüllen, Bedürfnisse die hauptsächlich aus meiner Kindheit und Jugend kommen. Bedürfnisse die nicht mehr erfüllt werden können da sie aus der Vergangenheit kommen. Ich muss lernen zu differenzieren welche Bedürfnisse ins hier und jetzt gehören und zu schauen wie ich die heutigen Bedürfnisse erfüllen kann.

Mir ist auch klar geworden, dass meine Einsamkeit tiefer geht. Es ist keine reine Einsamkeit es ist Sehnsucht, eine Sehnsucht nach einem Zuhause. Dort wo ich zur Zeit lebe ist nicht mein Zuhause, es sind 4 Wände und ein Dach. Ich möchte versuchen mein Zuhause zu finden, aber auch das Zuhause in mir selbst.

Ich habe beschlossen alles dafür zu tun nach der Klinik einen neuen Weg zu gehen.

Weg vom Trott und hin zum Leben. Ich möchte Distanz zu meiner dysfunktionalen Routine, dem Ort an dem ich lebe und vor allem auch meinem alten Ich aufbauen.

Ich möchte nicht mehr weglaufen, weglaufen vor der Angst vor Veränderung. Mich nicht mehr lähmen lassen von der Angst vor der Angst. Ich möchte etwas ändern, auch wenn es heißt zu gehen.

Ich möchte nicht mehr vor mir fliehen, ich möchte auf mein Leben zugehen und mein Leben ist nicht hier.

Autor*in: Blue

Das wird ein Kampf, ein Kampf um meine Gesundheit, ein Kampf um eine glückliche Zukunft und ein zufriedenes Leben. Diesen Kampf kämpfe ich gerne... zumindest die meiste Zeit.

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