Gastbeitrag von: Chris

Ein Gefühl das mich ständig begleitet, ist die Sehnsucht nach Wichtigkeit. Ich möchte so angenommen werden, wie ich bin. Ich möchste das Gefühl haben so richtig zu sein, wie ich bin. Ich möchte anderen etwas bieten können. Gleichzeitig hege ich ein tiefes Misstrauen gegen andere Menschen. Mir fällt es schwer zu glauben, dass mich ein anderer Mensch verstehen kann, dass er nachvollziehen kann, wie es mir geht. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich mit meinen Eigenschaften nicht liebenswert bin. Und auf der anderen Seite komme ich aus der Beobachterperspektive nicht heraus. Viele, manchmal sogar die meisten Gedanken des Tages beschäftigen sich mit einem Perspektivwechsel in den anderen hinein. Ich frage mich, wie „man“ mich sieht, wie ich herüberkomme, wie ich wirke, ob ich zu grob war, zu introvertiert, zu kalt, emotional nicht genug erreichbar – die Liste lässt sich je nach Situation beliebig erweitern. Auch in diesem Moment frage ich mich, wie du als Leser meinen Text wahrnehmen wirst. Klar, irgendwo ist es „normal“ oder sogar wichtig, sich aus der Perspektive der anderen sehen zu können. Das Problem ist nur, dass meine Erwartungen von vornherein so hoch an mich sind, dass ich sie niemals erreichen werde können.

Meine sozialen Ängste in der Selbsthilfegruppe

Erlebt habe ich diese Gedanken in der letzten Woche besonders nach meiner Selbsthilfegruppe. Ich bin hier nun endlich an einem Punkt angelangt, an dem ich aus der Situation heraus erzählen kann, was in mir vorgeht. Ich brauche kein Skript mehr, an dem ich mich festhalten kann. Ich nehme dadurch aktiver und lebendiger an den Diskussionen teil. Gleichzeitig freue ich mich schon immer auf das Freitagstreffen, ich bin froh die anderen zu sehen. Nun gehen einige Menschen auch schon eher freundschaftlicher mit mir um. Es fühlt sich im allgemeinem sehr warm und herzlich an, nach mehr als „nur“ einer Selbsthilfegruppe. Beim Abschied machte ich mir dann aber gerade desswegen, weil ich die anderen emotional mehr an mich heranlasse, ob ich aus Sicht der anderen nicht zu kalt bin. Eventuell hätte ich sie bei der Begrüßung umarmen sollen. Ich hätte auch irgendetwas lustiges, oder warmes sagen können. Sozial kann ich ja kaum sein, wenn es nach meinen Gedanken geht. Was sollten die anderen auch von mir wollen? Ich habe an dieser Stelle die hochkommenden Gedanken kursiv markiert.

Die unsicheren Bindungen zu meinen Eltern

Es ist schwer andere Menschen an sich heranzulassen. Letztendlich macht es einen immer verletzlich und angreifbar. Das lässt sich nicht verhindern. Warscheinlich wären Freundschaften und Beziehungen ohne die mögliche Verletzung sogar nicht so wertvoll, wie sie es sind. Problematisch für mich ist aber, dass ich die drohende Gefahr schon sehe, wenn noch keine da ist. Durch meine Therapie weiß ich heute, dass ich dies Zuhause gelernt habe. Mein Vater hat zum Beispiel hat meiner Jungend und Kindheit oft den Kontakt einfach so abgebrochen. Plötzlich kamen dann eben keine Mails mehr, keine Anrufe zum Geburtstag, obwohl ich an seinen jedoch gedacht hatte. Meine Mutter wiederum war durch ihren Alkoholismus nachezu unberechenbar. Als Heranwachsender versucht man sich einen Reim darauf zu machen, was bei mir darin endete, dass ich mir für alles die Schuld gab. Ich habe dann angefangen, mich niemandem anzuvertrauen und meine Gefühle herunterzuschlucken. Es war besser als den Zorn meiner Mutter auf mich zu ziehen. Vor allem da ich lange Zeit sowieso nicht verstand, wieso sie wütend auf mich war. Es kam scheinbar immer aus dem nichts. Später erst erfuhr ich, dass sie ein Alkoholproblem hat. Das führte dann dazu, dass ich dann zu ihr Co – Abhängig wurde.

Durch die Therapie und meine Gruppe habe ich gelernt, dass also irgendwo noch mein inneres Kind wohnt und sich nach Bedeutung, nach Wichtigkeit sehnt. Es will so angenommen werden, wie es ist. Für mich genau das sehr schwer, denn im Grund pendle ich jeden Tag zwischen Slebstakzeptanz und Selbsthass. Oft genug mache ich mich in meinen Gedanken fertig, denn so habe ich gelernt mit meiner inneren Wut umzugehen. Ich bin derjenige, an dem ich es auslassen sollte, ich mache das mit mir selber aus. Das ist jedoch ein großer Denkfehler. Denn so wird man die Wut nie los, sie bleibt pausenlos im Bauch und richtet Schaden an.

Selbstfürsorge beginnt im Kleinen

Mein aktuelles Experiment besteht darin, meinem inneren Kind mehr Spielraum zu geben. Wenn ich wütend bin, dann bin ich eben wütend. Dann liege ich auch schon mal gerne einfach am Wochenende nur im Bett. Oder ich richte die Wut auf meine Mutter und sage ihr ganz klar, was ich fühle. Das Gefühl ist da und will gelebt werden. Ich versuche in der Ausbildung dennoch auch eine gewisse Höflichkeitsstufe nicht zu unterschreiten, aber verstecken muss ich meine Gefühle nicht komplett. Oft ergeben sich aber auch großartige Chancen aus kleinen Gelegenheiten, dem inneren Kind Raum zu geben. Mein Profilbild entstand zum Beispiel dadruch, dass ich den Zukunftstag in meinem Unternehmen betreue, wobei es um Open GL Programmierung geht. Mein inneres Kind wollte dies natürlich ausnutzen. Also habe ich ein par Fotos gemacht und ein bisschen gespielt. Vorbereitung war es trotzdem, nur neu gedacht.

Autor*in: Gastautor*in

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