Als chronisch kranke Patientin habe ich oft das Problem, dass sich explosive Fronten zwischen Medizinern und mir bilden. Ich kenne meinen Körper und meine Krankheit oft besser und fordere somit ein, was ich brauche bzw. was im Akutfall notwendig ist. Nur selten wird dies von Medizinern gut aufgenommen. Meist bin ich, mit seltener chronischer Erkrankung und manifester Problematik, der dumme Patient, der gar keine Ahnung hat und dessen Worten kein Glauben zu schenken ist. Das Spielchen geht dann von Grundsatzdiskussionen bis hin zu Bekehrungen durch feine Assistenzärzte – bis schließlich genau die Befunde gestellt werden, die ich ‚vorausgesagt‘ habe.
Mit der Pflege bin ich bisher selten aneinander geknallt. Die Meisten machen Ihren Job gewissenhaft und sehen den Patienten als mündige Person an. Doch diesmal musste ich leider Erfahrungen sammeln, welche an Menschenunwürdigkeit grenzen und sogar rechtliche Konsequenzen mit sich bringen (könnten). Es ist vermutlich ein vergleichsweise harmloser Fall, aber hat mir dennoch bewusst gemacht, wie schnell der Patientenwille übergangen wird, man spontan, temporär und übergangener Weise entmündigt wird, und wie schnell es zu Gewalt in Kliniken kommen kann.
Ich spreche nun einen Teil des Zeitraums nach meiner letzten OP an. Den Zeitraum, über den ich in dem vorherigen Beitrag nicht sprechen konnte und wollte. Der Zeitraum, der nun auch als Traumatisierung gilt und all meine ‚generalisierten Krankenhausängste‘ verstärkt hat.

Nach der letzten OP hatte ich im gesamten Bauchraum ziemlich starke Schmerzen. Ich konnte dadurch nicht einmal schlafen, geschweige denn aufstehen. Am Folgetag sollte mobilisiert werden. Gar kein Ding. So lang sich meine Schmerzen im Rahmen halten oder kontrollieren lassen, bin ich bei so etwas voll motiviert dabei. Doch meine Schmerzen waren nicht kontrolliert, sodass ich wusste, dass ich ‚allein gelassen werde‘, wenn die Mobilisation die Schmerzen verstärkt. Nach fünf Bauch-OPs weiß ich doch wohl, wann was Sinn macht und wann was eher kritisch zu betrachten ist. Also verweigerte ich die Mobilisation. Ich lehnte es ganz einfach ab. Einige Stunden später – ich war schmerztechnisch immer noch nicht eingestellt – kamen drei Pfleger rein: Einer der Drachen der Station, ein kräftiger Kerl und ein zartes Mädel. „Wir stehen jetzt auf!“ Ich verneinte erneut. Weigerte mich. Die drei stellten sich um mich – zwei rechts, eine links -, packten meine Beine und zogen sie zur Seite. Die Bewegung verschlimmerte die Schmerzen. Ich weinte, verneinte und wehrte mich so gut es ging. Ich hatte keine Kraft. Ich war der Pflege schutzlos ausgeliefert. Wurde einfach gepackt und hingesetzt. Die Tränen liefen und liefen. Mein Gesicht war nass, meine Nase tropfte und der Speichel lief unkontrolliert aus meinem jämmerlichen Mund hinaus – aus dem kaum noch ein Ton kam. Ich signalisierte klar, dass das nicht geht. Dass ich das nicht will. Dass die Schmerzen zu stark sind. Ich fragte den Drachen, ob sie jemals richtige Schmerzen gehabt hätte. Sie verstand mich nicht, bejahte bei erneute Fragestellung. Ganz ehrlich? Ich glaube nicht, dass diese Frau auch nur annähernd weiß, was Schmerzen sind! Der kräftige Kerl griff zu einem Taschentuch und wischte mir mein Gesicht ab. Ich blickte stets zu Boden, nahm meine Umwelt kaum noch wahr. Sah nichts. Dann griffen sie mich und stellten mich hin. „Beine durchdrücken!“, sagte der Drache streng. Haha, dachte ich. Ich hatte keine Kraft. Nur mein Vorderfuß berührte den Boden sanft. Sie wollten mit mir gehen. Ich verweigerte erneut. Sie ließen mich wieder in mein Bett sinken. Halfen mir mich hinzulegen. Ich weinte immer noch. Meine Welt war komplett verschwommen.
An die nächsten Stunden kann ich mich kaum noch erinnern. Ich weiß nicht einmal, wie die Pflege den Raum verlassen – obwohl ich immer noch wach war. Ich weiß, dass ich einige Stunden später eine Schmerzpumpe bekam. Über 24 Stunden nach der OP konnte ich endlich ein paar Stunden schlafen, da meine Schmerzen eingedämmt waren. Der Nachtdienst kam. Mein Herz ging auf: Eine meiner Lieblingspflegerinnen hatte Dienst. Meine Nacht war somit gerettet und ich konnte mich wieder sicher fühlen!

An dieser Stelle möchte ich daher, auch wenn du es vermutlich niemals lesen wird, genau dieser Person danken. Für die vielen Gespräche mit aufbauenden Worten, aber auch für die vielen Späße und das gemeinsame Lachen. Für deine Verklatschtheit an so manchen Tagen. Für den generellen patientenzugewandten Umgang und das Händchen für Traumapatienten. Für die Sicherheit und Ruhe, die du mir vermittelt hast! Danke!

Autor*in: Dickdarmlos

Tabus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Verdauungsorgane, insbesondere der Darm, und die Menstruation sind immer noch Tabuthemen. Es gilt als ekelig oder unrein. Man möchte nicht darüber sprechen und erstrecht nichts darüber hören. Doch was ist, wenn du mit einer Genmutation auf die Welt kommst, der Darm früher oder später in den Mittelpunkt deines Lebens rückt, und das Leben dir obendrauf noch eine gynäkologische Erkrankung schenkt? Hier beim Lebensmutig Blog berichte ich über mein Leben mit Familiärer Adenomatöser Polyposis (FAP), Endometriose und den psychischen Folgen.

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